#164: Die schönsten Märchen von Wilhelm Hauff (Hörbuch zum Einschlafen)
Shownotes
Die schönsten Märchen von Wilhelm Hauff zum Einschlafen, Träumen und Entspannen. Eine Hörbuch-Compilation (Zusammenstellung) für Kinder und Erwachsene. 📚🎙️
INHALT 00:00 Die Errettung Fatmes 45:26:07 Der kleine Muck 1:35:07 Kalif Storch 2:05:51 Die abgehauene Hand
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Transkript anzeigen
00:00:00: Die Errettung
00:00:01: Fatmes von Wilhelm
00:00:04: [Musik]
00:00:08: Hauf. Mein Bruder Mustafa und meine
00:00:11: Schwester Fatme waren beinahe in
00:00:13: gleichem Alter. Jener hatte höchstens
00:00:16: zwei Jahre voraus. Sie liebten einander
00:00:19: innig und trugen vereint alles bei, was
00:00:21: unserem kränklichen Vater die Last
00:00:23: seines Alters erleichtern konnte. An
00:00:26: Fatmes 16. Am Geburtstage veranstaltete
00:00:29: der Bruder ein Fest. Er ließ alle ihre
00:00:32: Gespielen einladen, setzte ihnen in dem
00:00:35: Garten des Vaters ausgesuchte Speisen
00:00:37: vor und als es Abend wurde, lud er sie
00:00:40: ein auf einer Barke, die er gemietet und
00:00:43: festlich geschmückt hatte, ein wenig
00:00:45: hinaus in die See zu
00:00:47: fahren. Fatm und ihre Gespielinen
00:00:50: willigten mit Freuden ein, denn der
00:00:52: Abend war schön und die Stadt gewährte
00:00:55: besonders abends von dem Meere aus
00:00:58: betrachtet einen herrlichen Anblick.
00:01:01: Den Mädchen aber gefiel es so gut auf
00:01:03: der Barke, daß sie meinen Bruder
00:01:05: bewogen, immer weiter in die See
00:01:08: hinauszufahren. Mustafa gab aber ungern
00:01:11: nach, weil sich vor einigen Tagen ein
00:01:13: Corsar hatte sehen lassen. Nicht weit
00:01:16: von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge
00:01:18: in das Meer. Dorthin wollten noch die
00:01:21: Mädchen, um von da die Sonne in das Meer
00:01:24: sinken zu sehen. Als sie um das
00:01:27: Vorgebirg
00:01:28: herumruderten, sahen sie in geringer
00:01:31: Entfernung eine Barke, die mit
00:01:34: Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes
00:01:37: ahnend befahl mein Bruder den Ruder sein
00:01:39: Schiff zu drehen und dem Lande
00:01:42: zuzurudern. Wirklich schien sich auch
00:01:44: seine Besorgnis zu bestätigen, denn jene
00:01:47: Barke kam jener meines Bruders schnell
00:01:50: nach. Überfing sieh, da sie mehr Ruder
00:01:53: hatte und hielt sich immer zwischen dem
00:01:56: Land und unserer Bake. Die Mädchen aber,
00:01:59: als sie die Gefahr erkannten, in der sie
00:02:01: schwebten, sprangen auf und schrienen
00:02:04: und klagten. Umsonst suchte sie Mustafa
00:02:08: zu beruhigen. Umsonstellt er ihnen vor,
00:02:11: ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr hin
00:02:13: und her rennen, die Barke in Gefahr
00:02:16: bringen,
00:02:18: umzuschlagen. Es half nichts. Und da sie
00:02:20: sich endlich bei Annäherung des anderen
00:02:22: Bootes alle auf die hintere Seite der
00:02:25: Barke
00:02:26: stürzten, schlug diese um. Indessen aber
00:02:30: hatte man vom Land aus die Bewegungen
00:02:32: des fremden Bootes ausgemacht und da man
00:02:35: schon seit einiger Zeit Besorgnisse
00:02:37: wegen Karen hegte, hatte dieses Boot
00:02:40: Verdacht erregt und mehrere Barken
00:02:42: stießen vom Lande, um den Unsigen
00:02:46: beizustehen. Aber sie kamen nur noch zur
00:02:48: rechten Zeit.
00:02:50: um die Untersinkenden
00:02:52: aufzunehmen. In der Verwirrung war das
00:02:55: feindliche Boot entwischt. Auf den
00:02:57: beiden Barken aber, welche die
00:02:59: Geretteten aufgenommen hatten, war man
00:03:02: ungewiss, ob alle gerettet sein. Man
00:03:05: näherte sich gegenseitig und ach, es
00:03:09: fand sich, dass meine Schwester und eine
00:03:12: ihre Gespielen fehlte. Zugleich
00:03:15: entdeckte man aber einen Fremden in
00:03:16: einer der Barken, den niemand kannte.
00:03:19: Auf die Drohungen Mustafas gestand er,
00:03:22: daß er zu dem feindlichen Schiff, das
00:03:24: zwei Meilen Ostwärts vor Anker liege,
00:03:26: gehöre und dass ihn seine Gefährten auf
00:03:29: ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen
00:03:30: haben, indem er im Begriff gewesen sei,
00:03:33: die Mädchen auffischen zu helfen. Auch
00:03:36: sagte er aus, dass er gesehen habe, wie
00:03:39: man zwei derselben in das Schiff
00:03:41: gezogen. Der Schmerz meines alten Vaters
00:03:44: war grenzenlos, aber auch Mustafa war
00:03:47: bis zum Tod betrübt, denn nicht nur,
00:03:49: dass seine geliebte Schwester verloren
00:03:51: war und dass er sich anklagte, an ihrem
00:03:53: Unglück Schuld zu sein. Jene Freundin
00:03:57: Fatmes, die ihr Unglück teilte, war von
00:04:00: ihren Eltern ihm zur Gattin zugesagt
00:04:03: gewesen. Und nur unserem Vater hatte er
00:04:07: es noch nicht zu gestehen gewagt, weil
00:04:10: ihre Eltern arm und von geringer Abkunft
00:04:13: waren. Mein Vater aber war ein strenger
00:04:15: Mann. Als seine Schmerz sich ein wenig
00:04:18: gelegt hatte, ließ er Mustafa vor sich
00:04:20: kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit
00:04:24: hat mir den Trost meines Alters und die
00:04:27: Freude meiner Augen
00:04:30: geraubt. Geh hin, ich verbanne dich auf
00:04:34: ewig von meinem Angesicht. Ich fluche
00:04:39: dir und deinen
00:04:41: Nachkommen und nur wenn du mir Fatme
00:04:46: wiederbringst, soll dein Haupt rein sein
00:04:50: von dem Fluche des
00:04:53: Vaters. Dies hatte mein armer Bruder
00:04:55: nicht erwartet. Schon vorher hatte er
00:04:58: sich entschlossen gehabt, seine
00:04:59: Schwester und ihre Freundin aufzusuchen,
00:05:01: und wollte sich nur noch den Segen des
00:05:03: Vaters dazu erbitten, jetzt schickte er
00:05:06: ihn mit dem Fluch beladen in die Welt,
00:05:08: aber hatte ihn jener Jammer vorher
00:05:11: gebeugt, so stellte jetzt die Fülle des
00:05:14: Unglücks, dass er nicht verdient hatte,
00:05:16: seinen Mut.
00:05:17: Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und
00:05:20: befragte ihn, wohin die Fahrt seines
00:05:21: Schiffes ginge. Und er fuhr, daß sie
00:05:24: Sklavenhandel treiben und gewöhnlich in
00:05:27: Balsor großen Markt
00:05:29: hielten. Als er wieder nach Hause kam,
00:05:32: um sich zur Reise anzuschicken, schien
00:05:34: sich der Zorn des Vaters ein wenig
00:05:36: gelegt zu haben, denn er sandte ihm
00:05:39: einen Beutel mit Gold zur Unterstützung
00:05:42: auf der
00:05:43: Reise. Mustafer aber nahm weinend von
00:05:46: den Eltern Zidens, so hieß seine
00:05:49: geraubte Braut, Abschied und machte sich
00:05:52: auf den Weg nach Balsora.
00:05:55: Mustafa machte die Reise zu Land, weil
00:05:57: von unserer kleinen Stadt aus nicht
00:05:59: gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er
00:06:02: mußte daer sehr starke Tagreisen machen,
00:06:05: um nicht zu lange nach den Seeräubern
00:06:07: nach Balsora zu kommen. Doch da er ein
00:06:09: gutes Ross und kein Gepäck hatte, konnte
00:06:12: er hoffen, diese Stadt am Ende des
00:06:14: sechsten Tages zu
00:06:15: erreichen. Aber am Abend des vierten
00:06:18: Tages, als er ganz allein seines Weges
00:06:20: ritt, fielen ihn plötzlich drei Männer
00:06:23: an, da er merkte, dass sie gut bewaffnet
00:06:26: und stark seien und dass es mehr auf
00:06:28: sein Geld und sein Ross als auf sein
00:06:30: Leben abgesehen war, so rief er ihnen
00:06:33: zu, dass er sich ihnen ergeben wolle.
00:06:36: Sie stiegen von ihren Pferden ab und
00:06:38: banden ihm die Füße unter dem Bauch
00:06:39: seines Tieres zusammen. Ihn selbst aber
00:06:42: nahmen sie in die Mitte und trabten,
00:06:45: indem einer den Zügel seines Pferdes
00:06:47: ergriff, schnell mit ihm davon, ohne
00:06:50: jedoch ein Wort zu
00:06:52: sprechen. Mustafa gab sich einer dumpfen
00:06:55: Verzweiflung hin. Der Fluch seines
00:06:57: Vaters schien schon jetzt an dem
00:06:59: Unglücklichen in Erfüllung zu gehen. Und
00:07:02: wie konnte er hoffen, seine Schwester
00:07:04: und Zoraiden retten zu können, wenn er
00:07:07: aller Mittelberaubt nur sein ärmliches
00:07:09: Leben zu ihrer Befreiung aufwenden
00:07:12: könnte. Mustafa und seine stummen
00:07:15: Begleiter mochten wohl eine Stunde
00:07:16: geritten sein, als sie in ein kleines
00:07:19: Seitental
00:07:20: einbogen. Das Tälchen war von hohen
00:07:22: Bäumen eingefasst. Ein weicher
00:07:25: dunkelgrüner Rasen, einen Bach, der
00:07:28: schnell durch seine Mitte hinrollte,
00:07:30: luden zur Ruhe ein. Wirklich sah er auch
00:07:33: fünfzeh bis 20 Zelte dort aufschlagen.
00:07:36: An den Pflöcken der Zelte waren Kamele
00:07:38: und schöne Pferde angebunden. Aus einem
00:07:41: der Zelte hervor tönte die lustige Weise
00:07:43: einer Ziter und zweier schöner
00:07:46: Männerstimmen. Meinem Bruder schien es
00:07:49: als ob Leute, die ein so fröhliches
00:07:51: Lagerplätzchen sich erwählt hatten,
00:07:53: nichts Böses gegen ihn im Sinn haben
00:07:55: könnten. Und er folgte also ohne
00:07:57: Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die
00:07:59: ihm, als sie seine Bande gelöst hatten,
00:08:02: ihm winkten,
00:08:04: abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt,
00:08:07: das größer als die Übrigen und im Innern
00:08:10: hübsch fast zierlich aufgeputzt war.
00:08:13: Prächtige goldgestickte Polster,
00:08:15: gewirkte Fußteppiche, übergoldete
00:08:18: Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum
00:08:21: und Wohlleben verraten. Hier schienen
00:08:23: sie nur kühner Raub.
00:08:26: Auf einem der Polster saß ein alter
00:08:29: kleiner Mann. Sein Gesicht war hässlich,
00:08:32: seine Haut schwarzbraun und glänzend und
00:08:35: ein widriger Zug von tückischer
00:08:37: Schlauheit um Augen und Mund machte
00:08:39: seinen Anblick verhasst.
00:08:42: Obgleich sich dieser Mann einiges
00:08:43: Ansehen zu geben suchte, so merkte doch
00:08:46: Mustafa bald, daß nicht für ihn das Zelt
00:08:49: so reich geschmückt sei, und die
00:08:51: Unterredung seiner Führer schien seine
00:08:53: Bemerkung zu
00:08:55: bestätigen. "Wo ist der Starke?",
00:08:57: fragten sie den Kleinen. "Er ist auf der
00:09:00: kleinen Jagd", antwortete jener. "Aber
00:09:04: er hat mir aufgetragen, seine Stelle zu
00:09:07: versehen." "Das hat er nicht gescheit
00:09:09: gemacht", entgegnete einer der Räuber.
00:09:12: "Denn es muss sich bald entscheiden, ob
00:09:14: dieser Hund sterben oder zahlen soll,
00:09:17: und das weiß der Starke besser als du."
00:09:20: Der kleine Mann erhob sich im Gefühl
00:09:22: seiner Würde, streckte sich lang aus, um
00:09:24: mit der Spitze seiner Hand das Ohr
00:09:26: seines Gegners zu erreichen, denn er
00:09:29: schien Lust zu haben, sich durch einen
00:09:31: Schlag zu rächen. Als er aber sah, dass
00:09:33: seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an
00:09:36: zu schimpfen, und wahrlich die anderen
00:09:39: blieben ihm nichts schuldig, dass das
00:09:41: Zelt von ihrem Streit ertröhnte.
00:09:44: Da tat sich auf einmal die Türe des
00:09:46: Zeltes auf und hereint trat ein hoher
00:09:49: stattlicher Mann, jung schön wie ein
00:09:52: Perserprinz.
00:09:54: Seine Kleidung und seine Waffen waren
00:09:57: außer einem reich besetzten Dolch und
00:09:59: einem glänzenden Säbel gering und
00:10:02: einfach, aber sein ernstes Auge, sein
00:10:05: ganzer Anstand gebot Achtung, ohne
00:10:09: Furcht
00:10:10: einzuflößen. "Wer ist, der es wagt in
00:10:13: meinem Zelte Streit zu beginnen?", rief
00:10:16: er den Erschrockenen zu. Eine Zeit lang
00:10:18: herrschte tiefe Stille.
00:10:20: Endlich erzählte einer von denen, die
00:10:23: Musterfahr hergebracht hatten, wie es
00:10:25: gegangen sei. Da schien sich das Gesicht
00:10:28: des Starken, wie sie ihn nannten, vor
00:10:30: Zorn zu röten. "Wann hätte ich dich je
00:10:34: an meine Stelle gesetzt, Hassan?",
00:10:36: schrie er mit furchtbarer Stimme dem
00:10:38: Kleinen zu. Dieser zog sich vor Furcht
00:10:40: in sich selbst zusammen, dass er noch
00:10:42: viel kleiner aussah als zuvor und
00:10:45: schlich der Zeltüre zu.
00:10:47: Ein hinlänglicher Tritt des Starken
00:10:50: machte, daß er in einem großen
00:10:52: sonderbaren Sprung zur Zeltüre
00:10:55: hinausflog. Als der Kleine verschwunden
00:10:57: war, führten die drei Männer Mustafa vor
00:11:00: den Herren des Zeltes, der sich in
00:11:02: desess auf die Polster gelegt hatte.
00:11:04: "Hier bringen wir den, welchen du uns zu
00:11:07: fangen befohlen
00:11:09: hast." Jener blickte den Gefangenen
00:11:11: lange an und sprach so dann: "Bass von
00:11:16: Soliaika.
00:11:17: Dein eigenes Gewissen wird dir sagen,
00:11:21: warum du vor Orbasan
00:11:24: stehst. Als mein Bruder dies hörte, warf
00:11:27: er sich nieder vor jenem und antwortete:
00:11:30: "Oh Herr, du scheinst im Irrtum zu sein.
00:11:34: Ich bin ein armer
00:11:36: unglücklicher, aber nicht der Basser,
00:11:38: den du
00:11:39: suchst." Alle im Zelt waren über diese
00:11:42: Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber
00:11:45: sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich
00:11:48: zu
00:11:49: verstellen, denn ich will dir Leute
00:11:52: vorführen, die dich wohl
00:11:54: kennen." Er befahl Suleima
00:11:58: fortzuführen. Man brachte ein altes Weib
00:12:00: in das Zelt, das auf die Frage, ob sie
00:12:03: in meinem Bruder nicht den Basser von
00:12:04: Soliaika erkenne,
00:12:06: antwortete. Jawohl. Und sie schwöre es
00:12:09: beim Grab des Propheten. Es sei der
00:12:12: Basser und kein
00:12:14: anderer. Siehst du, erbärmlicher, wie
00:12:17: deine List zu Wasser geworden ist?
00:12:20: Begann zirnend der Stärke. Du bist mir
00:12:23: zu elend, als dass ich meinen guten
00:12:25: Dolch mit deinem Blut besudeln sollte.
00:12:28: Aber an den Schweif meines Rosses will
00:12:30: ich dich binden morgen, wenn die Sonne
00:12:32: aufgeht. Und durch die Wälder will ich
00:12:35: mit dir jagen, bis sie scheidet hinter
00:12:37: die Hügel von
00:12:39: Suliaika. Das sank meinen armen Bruder
00:12:41: der Mut. Das ist der Fluch meines harten
00:12:46: Vaters, der mich zum schmachvollen Tode
00:12:50: treibt, rief er weinend. Und auch du
00:12:53: bist
00:12:54: verloren, süße
00:12:57: Schwester. Auch du
00:13:01: zur Deine Verstellung hilft dir nichts,
00:13:04: sprach einer der Räuber, indem er ihm
00:13:06: die Hände auf den Rücken band. Mach,
00:13:09: dass du aus dem Zelt kommst, denn der
00:13:11: Starke beißt sich in die Lippen und
00:13:14: blickt nach seinem
00:13:15: Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben
00:13:17: willst, so komm.
00:13:20: Als die Räuber gerade meinen Bruder aus
00:13:22: dem Zelt führen wollten, begegneten sie
00:13:25: drei andern, die einen Gefangenen vor
00:13:27: sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein.
00:13:30: "Hier bringen wir den Basser, wie du uns
00:13:32: befohlen hast", sprachen sie und führten
00:13:36: den Gefangenen vor das Polster des
00:13:38: Starken. Als der Gefangene dorthin
00:13:40: geführt wurde, hatte mein Bruder
00:13:42: Gelegenheit, ihn zu betrachten, und dem
00:13:45: selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die
00:13:48: dieser Mann mit ihm hatte.
00:13:50: Nur war er dunkler im Gesicht und hatte
00:13:52: einen schwerzeren Bart. Der Starke
00:13:56: schien sehr erstaunt über die
00:13:58: Erscheinung des zweiten Gefangenen. "Wer
00:14:00: von euch ist denn der Rechte?", sprach
00:14:03: er, indem er bald meinen Bruder bald den
00:14:05: anderen Mann ansah. "Wenn du den Basser
00:14:08: von Suliaika meinst?", antwortete in
00:14:10: stolzem Ton der Gefangene. "Der bin
00:14:14: ich." Der Starke sah ihn lange mit
00:14:16: seinem ernsten, furchtbaren Blick an.
00:14:19: Dann winkte er schweigend, den Basser
00:14:21: wegzuführen. Als dies geschehen war,
00:14:24: ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt
00:14:26: seine Bande mit dem Dolch und winkte
00:14:29: ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen.
00:14:32: "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er,
00:14:36: "dass ich dich für jenes Ungeheuer
00:14:38: hielt.
00:14:39: Schreibe es aber einer sonderbaren
00:14:41: Fügung des Himmels zu, die dich gerade
00:14:44: in der Stunde, welche dem Untergang
00:14:46: jenes Verruchten geweiht war, in die
00:14:48: Hände meiner Brüder führte.
00:14:51: Mein Bruder bat ihn um die einzige
00:14:53: Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu
00:14:56: lassen, weil jeder Aufschub ihm
00:14:58: verderblich werden
00:15:00: könne. Der Stärke erkundigte sich nach
00:15:02: seinen eiligen Geschäften und als sie
00:15:05: Mustafa alles erzählt hatte, überredete
00:15:07: ihn jener diese Nacht in seinem Zelt zu
00:15:10: bleiben. Er und sein Ross werden der
00:15:12: Ruhe bedürfen. Den folgenden Tag aber
00:15:15: wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihnen
00:15:17: anderthalb Tagen nach Belsora bringe.
00:15:20: Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich
00:15:22: bewirtet und schlief sanft bis zum
00:15:25: Morgen in dem Zelt des
00:15:27: Räubers. Als er aufgewacht war, sah er
00:15:30: sich ganz allein im Zelt.
00:15:32: Vor dem Vorhang des Zeltes aber hörte er
00:15:35: mehrere Stimmen
00:15:37: zusammensprechen, die dem Herrn des
00:15:39: Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen
00:15:42: Mann anzugehören schienen. Er lauschte
00:15:44: ein wenig und hörte zu seinem Schrecken,
00:15:48: dass der Kleine dringend den andern
00:15:51: aufforderte, den Fremden zu töten, weil
00:15:55: er, wenn er freigelassen würde, sie alle
00:15:57: verraten könnte.
00:16:00: Mustafa merkte gleich, daß der Kleine im
00:16:02: Kram sei, weil er Ursache war, dass er
00:16:04: gestern so übel behandelt wurde. Der
00:16:07: Starke schien sich einige Augenblicke zu
00:16:09: besinnen. "Nein", sprach er. "Er ist
00:16:13: mein Gastfreund und das Gastrecht ist
00:16:15: mir heilig. Auch sieht er mir nicht aus,
00:16:18: wie wenn er uns verraten
00:16:20: wollte." Als er so gesprochen, schlug er
00:16:23: den Vorhang zurück und trat
00:16:26: ein. "Friede sei mit dir, Mustafa.
00:16:29: sprach er. Laß uns den Morgentrunk
00:16:32: kosten und rüste dich dann zum
00:16:35: Aufbruch. Er reicht meinem Bruder einen
00:16:37: Becher Sorbet und als sie getrunken
00:16:40: hatten, zäumten sie die Pferde auf und
00:16:43: wahrlich, mit leichterem Herzen, als er
00:16:45: gekommen war, schwang sich Mustafa aufs
00:16:49: Pferd. Sie hatten bald die Zelte im
00:16:51: Rücken und schlugen dann einen breiten
00:16:53: Pfad ein, der in den Wald führte.
00:16:56: Der Starke erzählte meinem Bruder, daß
00:16:58: jener Bassar, den sie auf der Jagd
00:17:01: gefangen hätten, ihnen versprochen habe,
00:17:03: sie ungefährdet in seinem Gebiet zu
00:17:06: dulden. Vor einigen Wochen aber habe er
00:17:09: einen ihrer tapfersten Männer
00:17:11: aufgefangen und nach den schrecklichsten
00:17:13: Martern aufhängen lassen. Er habe ihm
00:17:16: nun lange auflauern lassen und heute
00:17:18: noch müsse ersterben.
00:17:21: Fahr wagte es nicht etwas dagegen
00:17:23: einzuwenden, denn er war froh, selbst
00:17:25: mit heiler Haut davon gekommen zu
00:17:27: sein. Am Ausgang des Waldes hielt der
00:17:30: Starke sein Pferd an, beschrieb meinem
00:17:32: Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum
00:17:35: Abschied und sagte:
00:17:37: "Mustafa, du bist auf sonderbare Weise
00:17:40: der Gastfreund des Räubers Urbasan
00:17:43: geworden. Ich will dich nicht
00:17:44: auffordern, nicht zu verraten, was du
00:17:46: gesehen und gehört hast.
00:17:48: Du hast ungerechterweise Todesangst
00:17:51: ausgestanden und ich bin dir Vergütung
00:17:53: schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken
00:17:57: und so du Hilfe brauchst, so sende ihn
00:18:00: mir zu und ich will eilen dir
00:18:03: beizustehen. Diesen Beutel aber kannst
00:18:06: du vielleicht zu deiner Reise
00:18:08: brauchen. Mein Bruder dankte ihm für
00:18:11: seinen Edelmut. Er nahm den Dolch, den
00:18:14: Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan
00:18:17: drückte ihm noch einmal die Hand, ließ
00:18:20: den Beutel auf die Erde fallen und
00:18:23: sprengte mit Sturmeseile in den Wald.
00:18:26: Als Musterfa sah, daß er ihn doch nicht
00:18:28: mehr werde einholen können, stieg er ab,
00:18:30: um den Beutel
00:18:32: aufzuheben, und er schrak über die Größe
00:18:35: von seines Gastfreundes
00:18:37: Großmut, denn der Beutel enthielt eine
00:18:40: Menge
00:18:41: Goldes. Er dankte Allah für seine
00:18:44: Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in
00:18:48: seine
00:18:49: Gnade und zog dann heiteren Mutes weiter
00:18:52: auf seinem Wege nach Balsora.
00:18:56: Am Mittag siebenden Tages nach seiner
00:18:59: Abreise zog Mustafa in die Tore von
00:19:02: Balsora ein. Sobald er in einer
00:19:05: Karawanserei abgestiegen war, fragte er,
00:19:08: wann der Sklavenmarkt, der Alljährliche
00:19:11: gehalten werde, anfange, aber er hielt
00:19:14: die
00:19:14: Schreckensantwort, dass er zwei Tage zu
00:19:17: spät komme. Man bedauerte seine
00:19:19: Verspätung und erzählte ihm, dass er
00:19:21: viel verloren habe. Denn noch an dem
00:19:24: letzten Tage des Marktes seien zwei
00:19:26: Sklavinnen angekommen von so hoher
00:19:30: Schönheit, dass sie die Augen aller
00:19:32: Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe
00:19:35: sich ordentlich um sie gerissen und
00:19:36: geschlagen und sie seien freilich auch
00:19:38: zu einem so hohen Preis verkauft worden,
00:19:41: dass sie nur ihr jetziger Herr nicht
00:19:43: habe scheuen können. Er erkundigte sich
00:19:46: näher nach diesen beiden und es blieb
00:19:48: ihm keinen Zweifel, dass es die
00:19:50: Unglücklichen seien, die er suche. Auch
00:19:53: erfuhr er, dass der Mann, der sie beide
00:19:54: gekauft habe, 40 Stunden von Balsora
00:19:58: wohne und Tiol Kos heiße. Ein vornehmer,
00:20:02: reicher, aber schon ältlicher Mann, der
00:20:05: früher Kapudan Bass des Großherrn war,
00:20:09: jetzt aber sich mit seinen gesammelten
00:20:10: Reichtümern zur Ruhe gesetzt habe.
00:20:13: Mustafa wollte von Anfang sich gleich
00:20:15: wieder zu Pferd setzen, um dem Tiolikos,
00:20:18: der kaum einen Tag Vorsprung haben
00:20:20: konnte, nachzueilen. Als er aber
00:20:22: bedachte, dass er als einziger Mann dem
00:20:24: mächtigen Reisenden doch nichts anhaben,
00:20:26: noch weniger seine Beute ihm abjagen
00:20:29: konnte, sann er auf einen anderen Plan
00:20:32: und hatte ihn noch bald
00:20:33: gefunden. Die Verwechslung mit dem
00:20:36: Wasser von Suliaika, die ihm beinahe so
00:20:38: gefährlich geworden wäre, brachte ihn
00:20:41: auf den Gedanken, unter diesem Namen in
00:20:44: das Haus des Tiolikos zu gehen und so
00:20:47: einen Versuch zur Rettung der beiden
00:20:49: unglücklichen Mädchen zu wagen. Er miete
00:20:52: daher einige Diener und Pferde, wobei
00:20:54: ihm Urbasahens Geld trefflich zu Statten
00:20:57: kam, schaffte sich und seinen Dienern
00:20:59: prächtige Kleider an und machte sich auf
00:21:01: den Weg nach dem Schlosse Tiolis.
00:21:05: Nach f Tagen war er in die Nähe dieses
00:21:07: Schlosses gekommen. Es lag in einer
00:21:09: schönen Ebene und war rings von hohen
00:21:11: Mauern umschlossen, die nur ganz wenig
00:21:14: von den Gebäuden überragt wurden. Als
00:21:17: Mustafa dort angekommen war, färbte er
00:21:20: Haare und Bart schwarz. Sein Gesicht
00:21:23: aber bestrich er mit dem Saft einer
00:21:26: Pflanze, die ihm eine bräunliche Farbe
00:21:29: gab, ganz wie sie jener Basser gehabt
00:21:31: hatte.
00:21:33: Er schickte hierauf einen seiner Diener
00:21:35: in das Schloss und ließ im Namen des
00:21:37: Basser von Zuliaika um ein Nachtlager
00:21:40: bitten. Der Diener kam bald wieder und
00:21:43: mit ihm vier schön gekleidete Sklaven,
00:21:47: die Mustafas Pferd am Zügel nahmen und
00:21:50: in den Schlosshof führten. Dort halfen
00:21:53: sie ihm selbst vom Pferd und vier andere
00:21:56: geleiteten ihn eine breite Marmortreppe
00:21:58: hinauf zu
00:22:00: Tioli. Dieser ein alter lustiger Geselle
00:22:04: empfing meinen Bruder Ehre bietig und
00:22:06: diesem das Beste, was ein Koch
00:22:08: zubereiten konnte,
00:22:09: aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustafa
00:22:12: das Gespräch nach und nach auf die neuen
00:22:15: Sklavinnen und Tioli rühmte ihre
00:22:17: Schönheit und beklagte nur, dass sie
00:22:19: immer so traurig sein. Doch er glaubte,
00:22:22: dieses würde sich bald geben. Mein
00:22:25: Bruder war sehr vergnügt über diesen
00:22:27: Empfang und legte sich mit den schönsten
00:22:29: Hoffnungen zur Ruhe
00:22:31: nieder. Er mochte ungefähr eine Stunde
00:22:34: geschlafen haben, da weckte ihn der
00:22:36: Schein einer Lampe, der blendend auf
00:22:39: sein Auge fiel.
00:22:41: Als er sich aufrichtete, glaubte er noch
00:22:44: zu träumen, denn vor ihm stand jener
00:22:47: kleine schwarzbraune Kerl aus Obasahns
00:22:50: Zelt, eine Lampe in der Hand, sein
00:22:53: breites Maul zu einem widrigen Lächeln
00:22:56: verzogen. Mustafa zwickte sich in den
00:22:59: Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu
00:23:01: überzeugen, ob er denn wach, aber die
00:23:03: Erscheinung blieb wie zuvor. "Was willst
00:23:06: du an meinem Bette?",
00:23:08: rief Mustafa, als er sich von seinem
00:23:10: Erstaunen erholt hatte. "Bemühet euch
00:23:13: doch nicht so, Herr", sprach der Kleine.
00:23:16: "Ich habe wohl erraten, weswegen ihr
00:23:20: hierhermt. Auch war mir euer wertes
00:23:23: Gesicht noch wohl
00:23:25: erinnerlich. Doch wahrlich, wenn ich
00:23:27: nicht den Basser mit eigener Hand hätte
00:23:29: erhängen helfen, so hättet ihr mich
00:23:32: vielleicht getäuscht.
00:23:34: Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu
00:23:37: machen. Vor allem sage, wie du
00:23:40: hierherkommst, entgegnete ihm Mustafa,
00:23:42: voll Wut, dass er verraten war. Was will
00:23:46: ich euch sagen? Antwortete Jener. Ich
00:23:50: konnte mich mit dem Starken nicht länger
00:23:51: vertragen, deswegen floh ich. Aber du,
00:23:56: Mustafha warst eigentlich die Ursache
00:23:59: unseres Streites und dafür musst du mir
00:24:02: deine Schwester zur Frau geben und ich
00:24:05: will euch zur Flucht behilflich sein.
00:24:09: Gibst du sie nicht, so gehe ich zu
00:24:11: meinem neuen Herrn und erzähle ihm etwas
00:24:15: von dem neuen
00:24:16: Wasser. Mustafa war vor Schrecken und
00:24:19: Wut außer sich. Jetzt, wo er sich am
00:24:21: sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte,
00:24:23: sollte dieser Elende kommen und sie
00:24:26: vereiteln. Es war nur ein Mittel, das
00:24:29: seinen Plan retten
00:24:31: konnte. Er musste das kleine Ungetüm
00:24:34: töten. Mit feinem Sprung fuhr er daher
00:24:37: aus dem Bett auf den Kleinen zu. Doch
00:24:39: dieser, der etwas solches geahnt haben
00:24:41: mochte, ließ die Lampe fallen, dass sie
00:24:44: verlöschte, und entsprang im Dunkeln,
00:24:47: indem er mürderisch um Hilfe schri.
00:24:50: Jetzt war guter Rat teuer. Die Mädchen
00:24:52: mußte er für den Augenblick aufgeben und
00:24:55: nur auf die eigene Rettung denken. Daher
00:24:58: ging er an das Fenster, um zu sehen, ob
00:25:00: er nicht entspringen konnte. Es war eine
00:25:03: ziemliche Tiefe bis zum Boden und auf
00:25:05: der anderen Seite stand eine hohe Mauer,
00:25:07: die zu übersteigen war. Sinn stand er an
00:25:11: dem Fenster, da hörte er viele Stimmen
00:25:14: sich seinem Zimmer nähern. Schon waren
00:25:17: sie an der Türe. Da faßte er
00:25:20: verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine
00:25:22: Kleider und schwang sich zum Fenster
00:25:26: hinaus. Der Fall war hart, aber er
00:25:29: fühlte, dass er kein Glied gebrochen
00:25:31: hatte. Drum sprang er auf und lief der
00:25:34: Mauer zu, der den Hof umschloss, stieg
00:25:37: zum Erstaunen seiner Verfolger hinauf
00:25:40: und befand sich bald im Freien. Er floh,
00:25:43: bis er an einen kleinen Wald kam, wo er
00:25:46: sich erschöpft niederwarf.
00:25:48: Hier überlegte er, was zu tun sei. Seine
00:25:51: Pferde und seine Diener hatte er müssen
00:25:53: im Stich lassen, aber sein Geld, das er
00:25:55: in dem Gürtel trug, hatte er gerettet.
00:25:58: Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald
00:26:01: einen anderen Weg zur Rettung. Er ging
00:26:04: in dem Wald weiter, bis er an einen Dorf
00:26:06: kam, wo er um geringen Preis ein Pferd
00:26:09: kaufte, das ihn in Blde in eine Stadt
00:26:12: trug.
00:26:13: Dort forschte er nach einem Arzt und man
00:26:16: riet ihm einen alten erfahrenen Mann.
00:26:19: Diesen bewog er durch einige Goldstücke,
00:26:21: dass er ihm eine Arznei mitteilte, die
00:26:24: einen todähnlichen Schlaf herbeiführte,
00:26:27: der durch ein anderes Mittel
00:26:29: augenblicklich wieder gehoben werden
00:26:31: könnte.
00:26:32: Als er im Besitz dieses Mittels war,
00:26:35: kaufte er sich einen langen falschen
00:26:37: Bart, einen schwarzen Talar und allerlei
00:26:40: Büchsen und Kolben, sodass er füglich
00:26:43: einen reisenden Arzt vorstellen konnte,
00:26:46: lud seine Sachen auf einen Esel und
00:26:49: reiste in das Schloss des Tiolikos
00:26:52: zurück. Er durfte gewiss sein, diesmal
00:26:55: nicht erkannt zu werden, denn der Bart
00:26:58: entstellte ihn so, daß er sich selbst
00:27:00: kaum mehr erkannte.
00:27:02: Bei Tioli angekommen, ließ er sich als
00:27:04: den Arzt Chakaman Kabudi Baba anmelden
00:27:09: und wie er es sich gedacht hatte,
00:27:11: geschah es. Der prachtvolle Name empfahl
00:27:14: ihn bei dem alten Narren ungemein,
00:27:17: sodass er ihn gleich zur Tafel einlut.
00:27:20: Chakaman Kabudi Baba erschien vor Tioli
00:27:24: und als sie sich kaum eine Stunde
00:27:26: besprochen hatten, beschloss der Alte
00:27:28: alles seine Sklavinnen, der Kur dieses
00:27:31: weisen Arztes zu
00:27:34: unterwerfen. Dieser konnte seine Freude
00:27:36: kaum verbergen, dass er jetzt seine
00:27:38: geliebte Schwester wiedersehen solle und
00:27:40: folgte mit klopfendem Herzen Tioli, der
00:27:43: ihn ins
00:27:45: Serte. Sie waren in ein Zimmer gekommen,
00:27:48: das schön ausgeschmückt war. worin sich
00:27:50: aber niemand befand. "Cambada oder wie
00:27:53: du heißt, lieber Arzt", sprach
00:27:56: Tiolikos. Betrachte einmal jenes Loch
00:27:59: dort in der Mauer. Dort wird jede meiner
00:28:02: Sklavinnen einen Arm herausstrecken und
00:28:05: du kannst dann untersuchen, ob der Puls
00:28:07: krank oder gesund
00:28:09: ist. Mustafachte einwenden, was er
00:28:12: wollte. Zu sehen bekam er sie nicht.
00:28:15: Doch willigte Tioli ein, daß er ihm alle
00:28:18: mal sagen wolle, wie sie sich sonst
00:28:20: gewöhnlich
00:28:22: befanden. Tioli zog nun einen langen
00:28:24: Zettel aus dem Gürtel und begann mit
00:28:27: lauter Stimme seinen Sklavinnen einzeln
00:28:29: beim Namen zu rufen, worauf alle eine
00:28:32: Hand aus der Mauer kam und der Arzt den
00:28:35: Puls untersuchte.
00:28:37: Sex waren schon abgelesen und sämtlich
00:28:40: für gesund erklärt. Da las Tiolie als
00:28:43: die siebte Fatme ab und eine kleine
00:28:47: weiße Hand schlüpfte aus der
00:28:49: Mauer. Zitternd vor Freude ergreift
00:28:52: Mustafa diese Hand und erklärt sie mit
00:28:54: wichtiger Miene für bedeutend krank.
00:28:57: Tiuli war sehr besorgt und befahl seinem
00:29:00: weisen Chakaman
00:29:02: Kabudaba schnell eine Arznei für sie zu
00:29:05: bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb
00:29:08: auf einen kleinen Zettel: "Fatme, ich
00:29:11: will dich retten, wenn du dich
00:29:13: entschließen kannst, eine Arznei zu
00:29:15: nehmen, die dich auf zwei Tage tot
00:29:18: macht. Doch ich besitze das Mittel, dich
00:29:21: wieder zum Leben zu bringen. Willst du,
00:29:24: so sage nur, dieser Trank habe nicht
00:29:27: geholfen und es wird mir ein Zeichen
00:29:29: sein, dass du
00:29:31: einwilligst. Bald kam er in das Zimmer
00:29:33: zurück, wo Tioli seiner harrte. Er
00:29:36: brachte ein unschädliches Tränklein mit,
00:29:38: fühlte der kranken Fatme noch einmal den
00:29:40: Puls und schob ihr zugleich den Zettel
00:29:43: unter ihr Armband.
00:29:45: Das Tränklein aber reichte er ihr durch
00:29:47: die Öffnung in der
00:29:49: Mauer. Tioli schienen großen Sorgen
00:29:52: wegen Fatm zu sein und schob die
00:29:54: Untersuchung der Übrigen bis auf eine
00:29:56: gelegenere Zeit
00:29:57: auf. Als er mit Mustafa das Zimmer
00:30:00: verlassen hatte, sprach er mit traurigem
00:30:03: Ton: "Chutty Baba sage
00:30:07: aufrichtig, was hältst du von Fatmes
00:30:10: Krankheit?"
00:30:12: Chakamanka Budibaba antwortete mit einem
00:30:15: tiefen
00:30:16: Seufzer. Ach Herr, möge der Prophet dir
00:30:20: Trost verleihen. Sie hat ein
00:30:23: schleichendes Fieber, dass ihr wohl den
00:30:26: Gar ausmachen
00:30:27: kann. Da entbrannte der Zorn Tiolis. Was
00:30:31: sagst du? Verfluchter Hund von einem
00:30:34: Erzt. Sie, um die ich zweiend Goldstücke
00:30:38: gab, soll mir sterben wie eine Kuh.
00:30:42: Wisse, dass wenn du sie nicht rettest,
00:30:44: so haue ich dir den Kopf ab. Da merkte
00:30:48: mein Bruder, dass er einen dummen
00:30:50: Streich gemacht habe und gab Tioli
00:30:52: wieder Hoffnung. Als sie noch so
00:30:55: sprachen, kam ein schwarzer Sklave aus
00:30:57: dem Ser zu sagen, dass das Tränklein
00:31:01: nicht geholfen habe. "Biete deine ganze
00:31:04: Kunst auf,
00:31:06: Chakabanda oder" oder wie du dich
00:31:08: schreibst. Ich zahle dir, was du
00:31:11: willst", schrie Tiolikos fast heulend
00:31:14: vor Angst, so vieles Gold an den Tod zu
00:31:17: verlieren. "Ich will ihr einen Säftlein
00:31:20: geben, dass sie von aller Not
00:31:22: befreit", antwortete der Arzt. Ja, ja,
00:31:27: gib ihr einen
00:31:29: Säftlein." schluchzte der alte
00:31:31: Tioli. Frohen Mutes ging Mustafa seinen
00:31:34: Schlaftrunk holen und als er ihn dem
00:31:36: schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt
00:31:38: hatte, wie viel man auf einmal nehmen
00:31:40: müsse, ging er zu Tioli und sagte, er
00:31:44: müsse noch einige heisame Kräuter am See
00:31:46: holen und eilte zum Tor hinaus.
00:31:50: An dem See, der nicht weit von dem
00:31:51: Schloss entfernt war, zog er seine
00:31:53: falschen Kleider aus und warf sie ins
00:31:56: Wasser, daß sie lustig
00:31:58: umherschwammen. Er selbst aber verbarg
00:32:00: sich im Gesträuch, wartete die Nacht ab
00:32:04: und schlich sich dann in den
00:32:05: Begräbnisplatz an dem Schlosse Tiolis.
00:32:09: Als Mustafa kaum eine Stunde lang aus
00:32:11: dem Schloss abwesend sein mochte,
00:32:13: brachte man Tioli die schreckliche
00:32:15: Nachricht, daß seine Sklavin Fatme im
00:32:18: Sterben liege. Er schickte hinaus an den
00:32:21: See, um schnell den Arzt zu holen, aber
00:32:24: bald kehrten seine Boten allein zurück
00:32:26: und erzählten ihm, dass der arme Arzt
00:32:29: ins Wasser gefallen und ertrunken sei.
00:32:32: Seinen schwarzen Talar sehe man mitten
00:32:35: im See schwimmen und hi und da gucke
00:32:38: auch sein stattlicher Bart aus den
00:32:40: Wellen
00:32:41: hervor. Als Tioli keine Rettung mehr
00:32:43: sah, verwünschte er sich und die ganze
00:32:46: Welt, raufte sich den Bart aus und
00:32:48: rannte mit dem Kopf gegen die Mauer.
00:32:51: Aber alles dies konnte nichts helfen,
00:32:53: denn Fatme gab bald unter den Händen der
00:32:56: übrigen Weiber den Geist auf.
00:32:59: Als Tioli die Nachricht ihres Todes
00:33:00: hörte, befahl er schnell einen Sag zu
00:33:03: machen, denn er konnte keinen Toten im
00:33:06: Hause leiden und ließ den Gleichnam in
00:33:08: das Begräbnishaus tragen. Die Träger
00:33:11: brachten den Sarg dorthin, setzten ihn
00:33:14: schnell nieder und entflohen, denn sie
00:33:17: hatten unter den übrigen Sergen, Stöhnen
00:33:19: und Seufzen
00:33:21: gehört. Mustafa, der sich hinter den
00:33:23: Sergen verbogen und von dort aus die
00:33:25: Träger des Sarges in die Flucht gejagt
00:33:27: hatte, kam hervor und zündete sich eine
00:33:31: Lampe an, die er zu diesem Zweck
00:33:33: mitgebracht hatte. Dann zog er ein Glas
00:33:36: hervor, das die erweckende Arznei
00:33:38: enthielt, und hob dann den Deckel von
00:33:41: Fatmes Sarg.
00:33:43: Aber welches Entsetzen befiel ihm, als
00:33:46: sich ihm beim Scheine der Lampe ganz
00:33:48: fremde Züge
00:33:50: zeigten, weder meine Schwester noch
00:33:53: Zuraide, sondern eine ganz andere lag in
00:33:56: dem Sar. Er brauchte lange, um sich von
00:33:58: dem neuen Schlag des Schicksals zu
00:34:00: fassen. Endlich überwog doch mit Leid
00:34:03: seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und
00:34:07: flöste ihr die Arznei ein.
00:34:10: Sie atmete, sie schlug die Augen auf und
00:34:12: schien sich lange zu besinnen, wo sie
00:34:15: sei. Endlich erinnerte sie sich des
00:34:18: Vorgefallenen. Sie stand auf dem Sarg
00:34:22: und stürzte zu Mustafas Füßen. "Wie kann
00:34:25: ich dir danken, gütiges Wesen?", rief
00:34:28: sie aus, "dass du mich aus meiner
00:34:30: schrecklichen Gefangenschaft
00:34:31: befreitest?"
00:34:33: Mustafa unterbrach ihre Danksagungen mit
00:34:35: der Frage, wie es denn geschehen sei,
00:34:38: daß sie und nicht Fatme seine Schwester
00:34:40: gerettet worden sei. Jene sah ihn
00:34:43: staunend an. Jetzt wird mir meine
00:34:45: Rettung erst klar, die mir vorher
00:34:48: unbegreiflich war, antwortete sie.
00:34:52: Wißse, man hieß mich in jenem Schlosse
00:34:55: Fatme. Und mir hast du deinen Zettel und
00:34:58: den Rettungstrank gegeben. Mein Bruder
00:35:00: forderte die Gerettete auf, ihm von
00:35:02: seiner Schwester und ziden Nachricht zu
00:35:05: geben, und erfuhr, dass sie sich beide
00:35:08: im Schloss befinden, aber nach der
00:35:10: Gewohnheit Tiolis andere Namen bekommen
00:35:13: haben. Sie heißen jetzt Mirza und Nurm.
00:35:19: Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah,
00:35:21: daß mein Bruder durch diesen Fehlgriff
00:35:23: so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm
00:35:26: Mut ein und versprach ihm ein Mittel zu
00:35:29: sagen, wie er jene beiden Mädchen
00:35:32: dennoch retten könne. Aufgeweckt durch
00:35:35: diesen Gedanken schöpfte Mustafa von
00:35:37: neuem Hoffnung und bat sie dieses Mittel
00:35:40: ihm zu nennen. Und sie sprach: "Ich bin
00:35:43: zwar erst seit 5 Monaten die
00:35:46: Sklavenis, doch habe ich gleich von
00:35:48: Anfang an auf Rettung gesonnen, aber für
00:35:51: mich allein war sie zu schwer. In dem
00:35:54: Innern Hof des Schlosses wirst du einen
00:35:56: Brunnen bemerkt haben, der aus zehn
00:35:59: Röhren Wasser speit. Dieser Brunnen fiel
00:36:02: mir auf. Ich erinnerte mich in dem Hause
00:36:06: meines Vaters einen ähnlichen gesehen zu
00:36:08: haben, dessen Wasser durch eine
00:36:11: geräumige Wasserleitung
00:36:14: herbeiströmt. Um nun zu erfahren, ob
00:36:17: dieser Brunnen auch so gebaut sei,
00:36:19: rühmte ich eines Tages vor Tioli seine
00:36:21: Pracht und fragte nach seinem
00:36:24: Baumeister. "Ich selbst habe ihn
00:36:26: gebaut", antwortete er. Und das, was du
00:36:30: hier siehst, ist noch das Geringste.
00:36:33: Aber das Wasser dazu kommt wenigstens
00:36:36: tausend Schritte weit von einem Bach her
00:36:38: und geht durch eine gewölbte
00:36:41: Wasserleitung, die wenigstens manns hoch
00:36:44: ist und alles dies habe ich selbst
00:36:49: angegeben. Als ich dies gehört hatte,
00:36:52: wünschte ich mir oft nur auf einen
00:36:55: Augenblick die Stärke eines Mannes zu
00:36:57: haben, um einen Stein aus der Seite des
00:37:00: Brunnens ausheben zu können, dann könnte
00:37:03: ich fliehen, wohin ich
00:37:05: wollte. Diese Wasserleitung nun will ich
00:37:08: dir zeigen. Durch sie kannst du nachts
00:37:11: in das Schloss gelangen und jene
00:37:13: befreien. Aber du mußt wenigstens noch
00:37:16: zwei Männer bei dir haben, um die
00:37:18: Sklaven, die das SER die Nacht bewachen,
00:37:21: zu
00:37:22: überwältigen." So sprach sie. Mein
00:37:24: Bruder Mustafa aber obgleich schon
00:37:27: zweimal in seinen Hoffnungen getäuscht,
00:37:30: faßte noch einmal Mut und hoffte mit
00:37:33: Allahs Hilfe, den Plan der Sklavin
00:37:36: auszuführen. Er versprach ihr für ihr
00:37:39: weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu
00:37:41: sorgen, wenn sie ihm behilflich sein
00:37:44: wollte, ins Schloss zu
00:37:45: gelangen. Aber ein Gedanke machte ihm
00:37:48: noch Sorge, nämlich der, woher er zwei
00:37:51: oder drei treuige Hilfen bekommen
00:37:52: könnte.
00:37:54: Da fiel ihm Orbas Dolch ein und das
00:37:57: Versprechen, das ihm jener gegeben
00:37:59: hatte, ihm, wo er seiner Bedirfer zu
00:38:02: Hilfe zu eilen. Und er machte sich daher
00:38:05: mit Fatme aus dem Begräbnis auf, um den
00:38:08: Räuber
00:38:10: aufzusuchen. In der nämlichen Stadt, wo
00:38:12: er sich zum Arzt umgewandelt hatte,
00:38:14: kaufte er um sein letztes Geld ein Ross
00:38:17: und mietete Fatm bei einer armen Frau in
00:38:20: der Vorstadt ein.
00:38:22: Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo
00:38:24: er Orbasan zum ersten Mal getroffen
00:38:26: hatte und gelangte in drei Tagen
00:38:29: dorthin. Er fand bald wieder jene Zelte
00:38:32: und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn
00:38:35: freundlich willkommen
00:38:37: hieß. Er erzählte ihm seine misslungenen
00:38:40: Versuche, wobei sich der ernsthafte
00:38:42: Obersah nicht enthalten konnte, h und da
00:38:45: ein wenig zu lachen, besonders wenn er
00:38:48: sich den Arzt Chakamanka Budibaba
00:38:50: dachte.
00:38:52: Über die Verräterei des Kleinen aber war
00:38:54: er wütend. Er schwuh, ihn mit eigener
00:38:57: Hand aufzuhängen, wo er ihn finde.
00:39:00: Meinem Bruder aber versprache er
00:39:03: sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn
00:39:05: er sich vorher von seiner Reise gestärkt
00:39:07: haben würde. Mustafa blieb daher diese
00:39:11: Nacht wieder in Orbas Zelt. Mit dem
00:39:13: ersten Frührod aber brachen sie auf und
00:39:17: Orbasan nahm drei seiner tapfersten
00:39:19: Männer, wohl beritten und bewaffnet mit
00:39:23: sich. Sie ritten stark zu und kamen nach
00:39:26: zwei Tagen in die kleine Stadt, wo
00:39:28: Mustafa die gerettete Fatm
00:39:29: zurückgelassen hatte. Von da aus reisten
00:39:32: sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen
00:39:34: Wald, von woaus man das Schloss Tio
00:39:37: ließ, in geringer Entfernung sehen
00:39:39: konnte.
00:39:40: Dort lagerten sie sich, um die Nacht
00:39:44: abzuwarten. Sobald es dunkel wurde,
00:39:46: schlichen sie sich von Fatma geführt an
00:39:49: den Bach, wo die Wasserleitung anfing,
00:39:53: und fanden diese bald. Dort ließen sie
00:39:56: Fatme und einen Diener mit den Rossen
00:39:58: zurück und schickten sich an
00:40:01: hinabzusteigen. Ehe sie aber
00:40:03: hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme
00:40:06: noch einmal alles genau, nämlich, dass
00:40:08: sie durch den Brunnen in den inneren
00:40:10: Schlosshof kämen. Dort seien rechts und
00:40:13: links in der Ecke zwei Türme. In der
00:40:16: sechsten Türe vom Turme rechts gerechnet
00:40:19: befinden sich Fatme und Zuraide, bewacht
00:40:22: von zwei schwarzen Sklaven.
00:40:25: Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen
00:40:28: stiegen Mustafa Obersahn und zwei andere
00:40:31: Männer hinab in die
00:40:33: Wasserleitung. Sie sanken zwarbes an den
00:40:35: Gürtel ins Wasser, aber nichts desto
00:40:37: weniger gingen sie rüstig vorwärts. Nach
00:40:40: einer halben Stunde kamen sie an den
00:40:43: Brunnen selbst und setzten sogleich ihre
00:40:46: Brecheisen an.
00:40:48: Die Mauer war dick und fest, aber den
00:40:50: vereinten Kräften der vier Männer konnte
00:40:53: sie nicht lange
00:40:54: widerstehen. Bald hatten sie eine
00:40:56: Öffnung eingebrochen, groß genug, um
00:40:59: bequem durchschlüpfen zu
00:41:01: können. Basan schlüpfte zuerst durch und
00:41:04: half den anderen nach, und als sie alle
00:41:07: im Hof waren, betrachteten sie die Seite
00:41:10: des Schlosses, die vor ihnen lag, um die
00:41:13: beschriebene Türe zu erforschen. Aber
00:41:15: sie waren nicht einig, welche es sei,
00:41:18: denn als sie von dem rechten Turm zum
00:41:20: linken zelten, fanden sie eine Türe, die
00:41:23: zugemauert war und wussten nun nicht, ob
00:41:26: Fatm diese übersprungen oder mitgezählt
00:41:29: habe. Aber Orbasan besann sich nicht
00:41:32: lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede
00:41:35: Türe öffnen", rief aus, ging auf die
00:41:38: sechste Türe zu und die anderen folgten
00:41:41: ihm. Sie öffneten die Türe und fanden
00:41:44: sechs schwarze Sklaven auf dem Boden
00:41:46: liegend und
00:41:48: schlafend. Sie wollten schon wieder
00:41:50: leise sich zurückziehen, weil sie sahen,
00:41:52: dass sie die rechte Türe verfehlt
00:41:54: hatten, als eine Gestalt in der Ecke
00:41:57: sich aufrichtete und mit wohlbekannter
00:42:00: Stimme um Hilfe rief.
00:42:02: Es war der Kleine aus Urbasahns Lager,
00:42:06: aber eher noch die Schwarzenrecht
00:42:07: wußten, wie ihnen geschah. Stürzte
00:42:10: Obersan auf den Kleinen zu, riss seinen
00:42:13: Gürtel in zwei, verstopfte ihm den Mund
00:42:16: und band ihm die Hände auf den Rücken.
00:42:19: Dann wandte er sich an die Sklaven,
00:42:20: wovon schon einige von Mustafa und den
00:42:22: zwei anderen halbgebunden waren, und
00:42:25: half sie voll ins
00:42:27: Überwältigen. Man setzte den Sklaven den
00:42:29: Dolch auf die Brust und fragte sie, wo
00:42:32: Nur Maall und Mirzer wären, und sie
00:42:36: gestanden, dass sie im Gem nebenan
00:42:39: seien. Mustafa stürzte in das Gem und
00:42:43: fand Fatme und
00:42:44: Zoraiden, die der Lärm erweckt hatte.
00:42:48: Schnell rafften diese ihren Schmuck und
00:42:50: ihre Kleider zusammen und folgten
00:42:52: Mustafa. Die beiden Räuber schlugen in
00:42:55: des Orbasan vor zu plündern, was man
00:42:57: fände. Doch dieser verbot es ihnen und
00:43:00: sprach: "Man soll nicht von Orbasan
00:43:02: sagen können, dass er nachts in die
00:43:04: Häuser steige, um Gold zu stehlen."
00:43:07: Mustafa und die Geretteten schlüpften
00:43:09: schnell in die Wasserleitung, wohin
00:43:11: ihnen Urbasan sogleich zu folgen
00:43:13: versprach.
00:43:15: Als sie in die Wasserleitung
00:43:16: hinabgestiegen waren, nahm Orbasan und
00:43:19: einer der Räuber den Kleinen und führten
00:43:21: ihn hinaus in den
00:43:23: Hof. Dort banden sie ihm eine seidene
00:43:26: Schnur, die sie deshalb mitgenommen
00:43:28: hatten um den Hals, und hingen ihn an
00:43:31: der höchsten Spitze des Brunnens auf.
00:43:34: Nachdem sie so den Verrat desenden
00:43:36: bestraft hatten, stiegen sie selbst auch
00:43:39: hinab in die Wasserleitung und folgten
00:43:41: Mustafa.
00:43:43: Mit Tränen dankten die beiden ihrem
00:43:45: edelmütigen Retter
00:43:46: Obasan. Doch dieser trieb sie eilens zur
00:43:50: Flucht an, denn es war sehr
00:43:52: wahrscheinlich, dass sie Tiolikos nach
00:43:54: allen Seiten verfolgen
00:43:56: ließ. Mit tiefer Rührung trennten sich
00:43:59: am andern Tage Mustafa und seine
00:44:01: Geretteten von
00:44:03: Obersan. Wahrlich, sie werden ihn nie
00:44:06: vergessen. Fatme aber, die befreite
00:44:09: Sklavin, ging verkleidet nach Balsora.
00:44:12: um sich dort in ihre Heimat
00:44:15: einzuschiffen. Nach einer kurzen und
00:44:17: vergnügten Reise kamen die Meinigen in
00:44:19: die Heimat. Meinen alten Vater tötete
00:44:23: beinahe die Freude des
00:44:25: Wiedersehens. Den anderen Tag nach ihrer
00:44:27: Ankunft veranstaltete er ein großes
00:44:29: Fest, an welchem die ganze Stadt
00:44:32: teilnahm. Vor einer großen Versammlung
00:44:34: von Verwandten und Freunden mußte mein
00:44:37: Bruder seine Geschichte erzählen und
00:44:40: einstimmig briesen sie ihn und den edlen
00:44:43: Räuber. Als aber mein Bruder geschlossen
00:44:46: hatte, stand mein Vater auf und führte
00:44:50: zur Raiden ihm zu. "So lösche ich denn",
00:44:54: sprach er mit feierlicher Stimme, "Den
00:44:57: Fluch von deinem Haupte.
00:45:00: Nimm diese hin als die
00:45:02: Belohnung, die du dir durch deinen
00:45:05: rastlosen Eifer erkämpft hast.
00:45:08: Nimm meinen väterlichen Segen und möge
00:45:13: es nie unsere Stadt an Männern fehlen,
00:45:17: die an brüderlicher Liebe, an
00:45:21: Klugheit und Eiferm dir
00:45:30: gleichen. Die Geschichte
00:45:33: [Musik]
00:45:38: vom Inesa, meiner lieben Vaterstadt,
00:45:42: wohnte ein Mann, den man den kleinen
00:45:45: Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich
00:45:48: gleich damals noch sehr jung war, noch
00:45:50: recht wohl denken, besonders weil ich
00:45:53: einmal von meinem Vater wegen seiner
00:45:55: Halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck
00:45:58: nämlich war schon ein alter Geselle. als
00:46:01: ich ihn kannte. Doch war er nur drei bis
00:46:04: vier Schuh hoch. Dabei hatte er eine
00:46:08: sonderbare Gestalt, denn sein Leib, so
00:46:11: klein und zierlich er war, musste einen
00:46:14: Kopf tragen, viel größer und dicker als
00:46:18: der Kopf anderer Leute. Er wohnte ganz
00:46:21: allein in einem großen Haus und kochte
00:46:24: sich sogar selbst. Auch hätte man in der
00:46:27: Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder
00:46:29: gestorben sei, denn er ging nur alle
00:46:32: vier Wochen einmal aus, wenn nicht um
00:46:35: die Mittagsstunde ein mächtiger Dampf
00:46:37: aus dem Hause aufgestiegen wäre. Doch
00:46:40: sah man ihn oft abends auf seinem Dacher
00:46:43: auf und abgehen. Von der Straße aus
00:46:46: glaubte man aber, nur sein großer Kopf
00:46:49: allein laufe auf dem Dache umher.
00:46:53: Meine Kameraden und ich waren böse
00:46:55: Buben, die jeder Mann gerne neckten und
00:46:58: belachten. Daher war es uns alle mal ein
00:47:01: Festtag, wenn der kleine Muck ausging.
00:47:05: Wir versammelten uns an dem bestimmten
00:47:06: Tage vor seinem Haus und warteten, bis
00:47:09: er herauskam.
00:47:11: Wenn dann die Türe aufging und zuerst
00:47:14: der große Kopf mit dem noch größeren
00:47:17: Turban
00:47:18: herausguckte, wenn dann das übrige
00:47:20: Körperlein
00:47:22: nachfolgte, angetan mit einem
00:47:24: abgeschabten Mäntelein, weiten
00:47:27: Beinkleidern und einem breiten Gürtel,
00:47:30: an welchem ein langer Dolch hing, so
00:47:32: lang, dass man nicht wusste, ob Muck an
00:47:35: dem Dolch oder der Dolch an Muck.
00:47:39: Wenn er also so
00:47:40: heraustrat, da ertönte die Luft von
00:47:43: unserem
00:47:44: Freudengeschrei. Wir warfen unsere
00:47:46: Mützen in die Höhe und tanzten wie toll
00:47:49: um ihn
00:47:50: her. Der kleine Muck aber größte uns mit
00:47:53: ernsthaftem Kopfnicken und ging mit
00:47:56: langsamen Schritten die Straße hinab.
00:47:59: Dabei schlurfte er mit den Füßen, denn
00:48:01: er hatte große weite Pantoffeln an, wie
00:48:04: ich sie noch nie
00:48:06: gesehen. Wir Knaben liefen hinter ihm
00:48:08: her und schrien immer: "Kleiner Muck,
00:48:11: kleiner Muck."
00:48:13: Auch hatten wir ein lustiges Verslein,
00:48:15: dass wir ihm zu Ehren hie und da sangen.
00:48:18: Es hieß: "Kleiner Muck, kleiner Muck,
00:48:22: wohnst in einem großen Haus, gehst nur
00:48:25: all vier Wochen aus, bist ein braver
00:48:29: kleiner Zwerg, hast ein Köpflein wie
00:48:32: einen Berg. Schau dich einmal um und
00:48:35: guck. Lauf und fang uns, kleiner Muck.
00:48:41: So hatten wir schon oft unser Kurzweih
00:48:43: getrieben, und zu meiner Schande muß ich
00:48:45: es gestehen, ich trieb's am ärgsten,
00:48:49: denn ich zupfte ihn oft am Mäntelein und
00:48:51: einmal trat ich ihm auch von hinten auf
00:48:53: die großen Pantoffel, dass er hinfiel.
00:48:57: Dies kam mir nun höchst lächerlich vor,
00:49:00: aber das Lachen verging mir, als ich den
00:49:02: kleinen Muck auf meines Vaters Haus
00:49:05: zugehen sah. Er ging richtig hinein und
00:49:10: blieb einige Zeit dort. Ich versteckte
00:49:12: mich an der Haustüre und sah den Muck
00:49:15: wieder
00:49:16: herauskommen, von meinem Vater
00:49:18: begleitet, der ihn ehrerbiet an der Hand
00:49:21: hielt und an der Türe unter vielen
00:49:24: Bücklingen sich von ihm
00:49:27: verabschiedete. Mir war gar nicht
00:49:28: wohlut. Ich blieb daher lange in meinem
00:49:31: Versteck.
00:49:32: Endlich aber trieb mich der Hunger, den
00:49:34: ich Ärger fürchtete als Schläge heraus,
00:49:37: und demütig und mit gesenktem Kopf trat
00:49:41: dich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich
00:49:44: höre, den guten Muck geschimpft", sprach
00:49:47: er in sehr ernstem Tone. "Ich will dir
00:49:50: die Geschichte dieses Muck erzählen und
00:49:53: du wirst ih gewiss nicht mehr auslachen.
00:49:55: Vor und nachher aber bekommst du das
00:49:57: Gewöhnliche."
00:50:00: Das Gewöhnliche aber
00:50:02: waren Hiebe, die er mir allzu richtig
00:50:05: aufzuzählen
00:50:07: pflegte. Er nahm daher sein langes
00:50:10: Pfeifenrohr, schraubte die
00:50:12: Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete
00:50:15: mich Ärger als je
00:50:17: zuvor. Als die 25 voll waren, befahl er
00:50:21: mir
00:50:22: aufzumerken und erzählte mir von dem
00:50:25: kleinen Muck.
00:50:29: Der Vater des kleinen Muck, der
00:50:31: eigentlich Muckra heißt, war ein
00:50:34: angesehener, aber armer Mann hier in
00:50:37: Nissa. Er lebte beinah so einsiedlerisch
00:50:41: als jetzt seinen Sohn. Diesen konnte er
00:50:44: nicht wohl leiden, weil er sich seiner
00:50:47: Zwerggestalt schämte und ließ ihn daher
00:50:50: auch in Unwissenheit
00:50:52: aufwachsen. Der kleine Muck war noch in
00:50:54: seinem 16. Ja, ein lustiges Kind und der
00:50:57: Vater ein ernster Mann, tadelte ihn
00:51:00: immer, dass er, der schon längst die
00:51:02: Kinderschuhe zertreten haben sollte,
00:51:05: noch so dumm und leppisch sei. Der Alte
00:51:08: tat aber einmal einen bösen Fall, an
00:51:11: welchem er auch starb, und den kleinen
00:51:14: Muck arm und unwissend zurückließ.
00:51:18: Die harten Verwandten, denen der
00:51:20: Verstorbene mehr schuldig war, als er
00:51:22: bezahlen konnte, jagten den armen
00:51:25: Kleinen aus dem Hause und rieten ihm in
00:51:28: die Welt hinauszugehen und sein Glück zu
00:51:31: suchen. Der kleine Muck antwortete: "Er
00:51:34: sei schon reisefertig, wart sich aber
00:51:36: nur noch den Anzug seines Vaters aus,
00:51:39: und dieser wurde ihm auch bewillig.
00:51:42: Sein Vater war ein großer, starker Mann
00:51:45: gewesen, daher paen die Kleider nicht.
00:51:48: Muck aber wußte bald Rat. Er schnitt ab,
00:51:52: was zu lang war, und zog dann die
00:51:55: Kleider an. Er schien aber vergessen zu
00:51:58: haben, dass er auch in der Weite davon
00:52:00: schneiden müsse, daher sein sonderbarer
00:52:03: Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist.
00:52:06: Der große Turban, der breite Girtel, die
00:52:10: weiten Hosen, das blaue
00:52:13: Mäntellein. Alles dies sind Erbstücke
00:52:16: seines Vaters, die er seitdem getragen.
00:52:19: Den langen Dammas Zehner Dolch seines
00:52:22: Vaters aber steckte er in den Gürtel, er
00:52:25: griff ein Stöcklein und wanderte zum Tor
00:52:28: hinaus.
00:52:30: Fröhlich wanderte er den ganzen Tag,
00:52:33: denn er war ja ausgezogen, um sein Glück
00:52:35: zu suchen. Wenn er einen Scherben auf
00:52:37: der Erde im Sonnenschein glänzen sah, so
00:52:40: steckte er ihn gewiss zu sich. Im
00:52:42: Glauben, daß er sich in den schönsten
00:52:45: Diamant verwandeln werde. Sah er in der
00:52:48: Ferne die Kuppel einer Moschee wie
00:52:51: Feuerstrahlen, sah er einen See wie
00:52:54: einen Spiegel blinken. So eilte er voll
00:52:57: Freude darauf zu, denn er dachte, in
00:53:00: einem Zauberland angekommen zu
00:53:02: sein. Aber ach, Trugbilder verschwanden
00:53:06: in der Nähe und nur allzu bald erinnerte
00:53:10: ihn seine Müdigkeit. und sein Vorhunger
00:53:13: knurrender Magen, daß er noch im Lande
00:53:15: der Sterblichen sich
00:53:17: befinde. So war er zwei Tage gereist,
00:53:20: unter Hunger und Kummer und verzweifelte
00:53:23: sein Glück zu finden. Die Früchte des
00:53:25: Feldes waren seine einzige Nahrung, die
00:53:28: harte Erde, sein
00:53:31: Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages
00:53:34: erblickte er von einer Anhöhe eine große
00:53:37: Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf
00:53:39: ihren Zinnen. Unte Fahnen schimmerten
00:53:42: auf den Dächern und schienen den kleinen
00:53:45: Muck zu sich her zu
00:53:47: winken. Überrascht stand der Stille und
00:53:50: betrachtete Stadt und
00:53:52: Gegend. "Ja, dort wird Klein Muck sein
00:53:56: Glück finden", sprach er zu sich und
00:54:00: machte trotz seiner Müdigkeit einen
00:54:02: Luftsprung. "Dort oder
00:54:05: nirgends?" Er raffte all seine Kräfte
00:54:07: zusammen und schritt auf die Stadt zu.
00:54:11: Aber obgleich sie ganz nahe, konnte er
00:54:14: sie doch erst gegen Mittag erreichen,
00:54:16: denn seine kleinen Glieder versagten ihm
00:54:18: beinah ergänzlich ihren Dienst und er
00:54:21: musste sich oft in den Schatten einer
00:54:23: Palme setzen, um
00:54:25: auszuruhen. Endlich war er an dem Tor
00:54:28: der Stadt angelangt. Er legte sein
00:54:30: Mäntelein zurecht, wand den Turban
00:54:33: schöner um, zog den Gürtel noch breiter
00:54:36: an und steckte den langen Dolch
00:54:38: schiefer.
00:54:40: Dann wischte er den Staub von den
00:54:41: Schüen, ergriff sein Stöcklein und ging
00:54:45: mutig zum Tor
00:54:47: hinein. Er war schon einige Straßen
00:54:49: durchwandert, aber nirgends öffnete sich
00:54:52: eine Türe. Nirgends rief man, wie er
00:54:54: sich vorgestellt hatte: "Kleiner Muck,
00:54:57: komm herein und iss und trink und lass
00:55:00: deine Füßlein
00:55:02: ausruhen." Er schaute gerade auch wieder
00:55:05: recht sehnsüchtig an einem großen,
00:55:07: schönen Haus hinauf.
00:55:09: Da öffnete sich ein Fenster. Eine alte
00:55:12: Frau schaute heraus und rief mit
00:55:15: singender Stimme: "Herbei, herbei,
00:55:19: gekocht ist der Brei. Den Tisch ließ ich
00:55:22: decken, drum lasst es euch schmecken.
00:55:26: Ihr Nachbarn herbei, gekocht ist der
00:55:30: Brei." Die Türe des Hauses öffnete sich
00:55:34: und Muck sah viele Hunde und Katotzen
00:55:37: hineingehen. Er stand einige Augenblicke
00:55:39: in Zweifel, aber der Einladung folgen
00:55:42: sollte. Endlich aber fasste er sich ein
00:55:44: Herz und ging in das
00:55:46: Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge
00:55:49: Kätzlein und er beschloss ihnen zu
00:55:52: folgen, weil sie vielleicht die Küche
00:55:54: besser wüssten als er. Als Muck die
00:55:57: Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er
00:56:00: jener alten Frau, die zum Fenster
00:56:03: herausgeschaut hatte.
00:56:05: Sie sah ihn mürrisch an und fragte nach
00:56:07: seinem
00:56:08: Begehr. "Du hast ja jeder Mann zu deinem
00:56:11: Brei
00:56:12: eingeladen", antwortete der kleine Muck.
00:56:15: "Und weil ich gar so hungrig bin, bin
00:56:19: ich auch
00:56:20: gekommen." Die Alte lachte und sprach:
00:56:23: "Woher kommst du denn, wunderlicher
00:56:25: Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich
00:56:28: für niemand koche als für meine lieben
00:56:30: Katzen. Und hier und da lade ich ihnen
00:56:32: Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein,
00:56:34: wie du siehest.
00:56:36: Der kleine Muck erzählte der alten Frau,
00:56:39: wie es ihm nach seines Vaterst so hart
00:56:42: ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit
00:56:45: ihren Katzen speisen zu lassen. Die
00:56:48: Frau, welcher die treuherzige Erzählung
00:56:50: des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm,
00:56:53: ihr Gast zu sein und gab ihm reichlich
00:56:56: zu essen und zu trinken. Als er
00:56:59: gesättigt und gestärkt war, betrachtete
00:57:02: ihn die Frau lange und sagte dann:
00:57:05: "Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem
00:57:09: Dienste. Du hast geringe Mühe und sollst
00:57:12: gut gehalten
00:57:13: sein." Der kleine Muck, dem der
00:57:16: Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte
00:57:19: ein und wurde also der Bediente der Frau
00:57:23: Ahafsi. Er hatte einen leichten, aber
00:57:26: sonderbaren Dienst. Frau Ahaff. Sie
00:57:29: hatte nämlich zwei Kater und vier
00:57:31: Katzen. Diesen musste der kleine Muck
00:57:34: alle morgen den Pelz kämmen und mit
00:57:36: köstlichen Salben
00:57:38: einreiben. Wenn die Frau ausging, musste
00:57:41: er auf die Katzen Achtung geben. Wenn
00:57:43: sie aßen, musste er ihnen die Schüsseln
00:57:46: vorlegen. Und nachts musste er sie auf
00:57:49: seidene Polster legen und sie mit stenen
00:57:52: Decken
00:57:53: einhüllen. Auch waren noch einige kleine
00:57:55: Hunde im Haus, die er bedienen musste,
00:57:57: doch wurden mit diesen nicht so viele
00:57:59: Umstände gemacht wie mit den Katzen,
00:58:02: welche Frau erhaff sie, wie ihre eigenen
00:58:04: Kinder hielt. Übrigens führte Muck ein
00:58:08: so einsames Leben wie in seines Vaters
00:58:10: Haus, denn außer der Frau sah er den
00:58:13: ganzen Tag nur Hunde und
00:58:15: Katzen. Eine Zeit lang ging es dem
00:58:18: kleinen Muck ganz gut. Er hatte immer zu
00:58:20: essen und wenig zu arbeiten, und die
00:58:23: alte Frau schien recht zufrieden mit ihm
00:58:25: zu sein. Aber nach und nach wurden die
00:58:28: Katzen unartig. Wenn die Alte
00:58:30: ausgegangen war, sprangen sie wie
00:58:33: besessen in den Zimmern umher, warfen
00:58:35: alles durcheinander und zerbrachen
00:58:37: manches schöne Geschirr, das ihnen im
00:58:40: Weg stand.
00:58:41: Wenn sie aber die Frau die Treppe
00:58:43: heraufkommen hörten, verkrochen sie sich
00:58:45: auf ihre Polster und wedelten ihr mit
00:58:48: den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts
00:58:50: geschehen wäre. Die Frau Erhafsi geriet
00:58:54: dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so
00:58:56: verwüstet sah, und schob alles auf
00:58:59: Muck. Er mochte seine Unschuld beteuern,
00:59:02: wie er wollte. Sie ihm glaubte, ihren
00:59:05: Katotzen, die so unschuldig aussahen,
00:59:08: mehr als ihrem
00:59:10: Diener. Der kleine Muck war sehr
00:59:12: traurig, dass er also auch hier sein
00:59:14: Glück nicht gefunden habe und beschloss
00:59:17: bei sich, den Dienst der Frau Ahavsi zu
00:59:20: verlassen. Da er aber auf seiner ersten
00:59:22: Reise erfahren hatte, wie schlecht man
00:59:24: ohne Geld lebt, beschloss er, den Lohn,
00:59:28: den ihm seine Gebieterin immer
00:59:29: versprochen, aber nie gegeben hatte,
00:59:31: sich auf irgendeine Art zu
00:59:34: verschaffen. Es befand sich in dem Hause
00:59:36: der Frau Ahafsi ein Zimmer, das immer
00:59:39: verschlossen war und dessen Inneres er
00:59:42: nie gesehen hatte. Doch hatte er die
00:59:44: Frau oft darin Rumoren gehört, und er
00:59:47: hätte oft für sein Leben gern gewußt,
00:59:48: was sie dort versteckt
00:59:50: habe. Als er nun an sein Reisegeld
00:59:53: dachte, fiel ihm ein, dass dort die
00:59:56: Schätze der Frau versteckt sein könnten.
00:59:59: Aber immer war die Türe fest
01:00:00: verschlossen und er konnte daher den
01:00:02: Schätzen nie
01:00:04: beikommen. Eines Morgens, als die Frau
01:00:07: Ahafsi ausgegangen war, zupfte ihn eines
01:00:10: der Hundlein, welches von der Frau immer
01:00:12: sehr stiefmitterlich behandelt wurde,
01:00:14: dessen Gunst er sich aber durch allerlei
01:00:16: Liebesdienste in hohem Grade erworben
01:00:18: hatte, an seinen weiten Beinkleidern und
01:00:22: geberdete sich dabei, wie wenn Muck ihm
01:00:24: folgen sollte. Muck, welcher gerne mit
01:00:27: den Hunden spielte, folgte ihm. Und
01:00:30: siehe da, das Hundlein führte ihn in die
01:00:34: Schlafkammer der Frau Ahafsi vor eine
01:00:37: kleine Türe, die er nie zuvor dort
01:00:39: bemerkt hatte. Die Türe war halb offen,
01:00:44: das Hundlein ging hinein und Muck folgte
01:00:47: ihm.
01:00:48: Und wie freudig war er überrascht, als
01:00:51: er sah, daß er sich in dem Gemach
01:00:54: befinde, das schon lange das Ziel seiner
01:00:56: Wünsche war. Er spähte überall umher, ob
01:01:00: er kein Geld finden könnte, fand aber
01:01:02: nichts. Nur alte Kleider und wunderlich
01:01:05: geformte Geschirre standen
01:01:07: umher. Eines dieser Geschirre zog seine
01:01:11: besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es
01:01:14: war von Kristall und schöne Figuren
01:01:17: waren darauf
01:01:19: ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte
01:01:22: es nach allen
01:01:23: Seiten. Aber oh Schrecken, er hatte
01:01:26: nicht bemerkt, dass es einen Deckel
01:01:28: hatte, der nur leicht darauf hingesetzt
01:01:31: war. Der Deckel fiel herab und zerbrach
01:01:35: in tausend
01:01:37: Stücken. Lange stand der kleine Muck
01:01:40: Schrecken leblos. Jetzt war sein
01:01:42: Schicksal entschieden. Jetzt mußte er
01:01:44: entfliehen, sonst schlug ihn die alte
01:01:47: Tod. Zugleich war auch seine Reise
01:01:49: beschlossen und nur noch einmal wollte
01:01:51: er sich umschauen, ob er nichts von den
01:01:53: Habseligkeiten der Frau Ahafsi zu seinem
01:01:55: Marsch brauchen könnte. Da fielen ihm
01:01:58: ein paar mächtig große Pantoffeln ins
01:02:01: Auge. Sie waren zwar nicht schön, aber
01:02:03: seine eigenen konnten keine Reise mehr
01:02:05: mitmachen. Auch zogen ihn jene wegen
01:02:08: ihrer Größe an, denn hatte er diese am
01:02:11: Fuß. So mußten ihm hoffentlich alle
01:02:13: Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe
01:02:16: vertreten habe. Er zog also schnell
01:02:19: seine Töflein aus und fuhr in die Großen
01:02:22: hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem
01:02:24: schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm
01:02:27: auch hier allzu müßig in der Ecke zu
01:02:29: stehen. Er nahm es also mit und eilte
01:02:32: zum Zimmer hinaus.
01:02:35: Schnell ging er jetzt auf seine Kammer,
01:02:37: zog sein Mäntelein an, setzte den
01:02:39: väterlichen Turbahn auf, steckte den
01:02:42: Dolch in den Gürtel und lief, so schnell
01:02:44: ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur
01:02:47: Stadt
01:02:48: hinaus. Vor der Stadt lief er aus Angst
01:02:51: vor der Alten, immer weiter fort, bis er
01:02:55: vor Müdigkeit beinah nicht mehr konnte.
01:02:59: So schnell war er in seinem ganzen Leben
01:03:01: nicht gegangen. Ja, es schien ihm, als
01:03:05: könne er gar nicht aufhören zu rennen,
01:03:07: denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn
01:03:11: fortzureißen. Endlich bemerkte er, dass
01:03:14: es mit den
01:03:15: Pantoffeln eine eigene Bewandnis haben
01:03:18: müsse, denn diese schossen immer fort
01:03:22: und führten ihn mit sich.
01:03:24: Er versuchte auf allerlei Weise
01:03:26: stillzustehen, aber es wollte nicht
01:03:28: gelingen. Da rief er in der höchsten
01:03:30: Not, wie man den Pferden zuruft, sich
01:03:33: selbst zu oh, halt! Oh! Da hielten die
01:03:38: Pantoffeln und Muck warf sich erschöpft
01:03:41: auf die Erde nieder. Die Pantoffeln
01:03:44: freuten ihn ungemein. So hatte er sich
01:03:46: denn doch durch seine Dienste etwas
01:03:48: erworben, dass ihm in der Welt auf
01:03:51: seinem Weg, das Glück zu suchen,
01:03:52: forthelfen konnte.
01:03:54: Er schlief trotz seiner Freude vor
01:03:56: Erschöpfung ein, denn das Körperlein des
01:03:59: kleinen Muck, das einen so schweren Kopf
01:04:01: zu tragen hatte, konnte nicht viel
01:04:04: aushalten.
01:04:06: Traum erschien ihm das Hundlein, welches
01:04:10: ihm im Hause der Frau Ahafse zu den
01:04:12: Pantoffeln verholfen hatte und sprach zu
01:04:15: ihm: "Lieber Muck, du verstehst den
01:04:19: Gebrauch der Pantoffeln noch nicht
01:04:22: recht. Wisse, dass wenn du dich in ihnen
01:04:26: dreimal auf dem Absatz
01:04:29: herumdrehst, so kannst du
01:04:32: hinfliegen, wohin du nur willst.
01:04:36: Und mit dem
01:04:37: Stöcklein kannst du Schätze finden, denn
01:04:41: wo Gold vergraben ist, da wird es
01:04:45: dreimal auf die Erde
01:04:49: schlagen. Bei Silber
01:04:52: zweimal. So träumte der kleine Muck. Als
01:04:56: er aber aufwachte, dachte er über den
01:04:58: wunderbaren Traum nach und beschloß als
01:05:01: bald einen Versuch zu machen. Er zog die
01:05:04: Pantoffeln an, lupfte einen Fuß und
01:05:07: begann sich auf dem Absatz
01:05:09: umzudrehen. Wer es aber jemals versucht
01:05:11: hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel
01:05:14: dieses Kunststück dreimal hintereinander
01:05:16: zu machen, der wird sich nicht wundern,
01:05:19: wenn es dem kleinen Muck nicht gleich
01:05:20: glückte. besonders, wenn man bedenkt,
01:05:24: daß ihn sein schwerer Kopf bald auf
01:05:26: diese, bald auf jene Seite
01:05:30: hinüberzog. Der arme Kleine fiel einige
01:05:32: Mal tüchtig auf die Nase, doch ließ er
01:05:35: sich nicht abschrecken, den Versuch zu
01:05:38: wiederholen und endlich glückte es.
01:05:42: Wie ein Rat fuhr er auf seinem Absatz
01:05:45: herum, wünschte sich in die nächste
01:05:47: große Stadt, und die Pantoffeln ruderten
01:05:51: hinauf in die Lüfte, liefen mit
01:05:54: Windeseile durch die Wolken, und ehe
01:05:57: sich der kleine Muck noch besinnen
01:05:58: konnte, wie ihm geschah, befand er sich
01:06:01: schon auf einem großen Marktplatz, wo
01:06:04: viele Buden aufgeschlagen waren und
01:06:06: unzählige Menschen geschäftig hin und
01:06:09: herliefen.
01:06:11: Er ging unter den Leuten hin und her,
01:06:13: hielt es aber bald für ratsamer, sich in
01:06:15: eine einsamere Straße zu begeben, denn
01:06:18: auf dem Markt trat ihm bald da einer auf
01:06:20: die Pantoffeln, dass er beinahe umfiel.
01:06:23: Bald stieß er mit seinem weit
01:06:25: hinausstehenden Dolch einen oder den
01:06:27: anderen an, daß er mit Mühe den Schlägen
01:06:30: entging. Der kleine Muck bedachte nun
01:06:33: ernstlich, was er wohl anfangen könnte,
01:06:35: um sich ein Stück Geld zu verdienen. Er
01:06:38: hatte zwar ein Stäblein, das ihm
01:06:40: verborgene Schätze anzeigte, aber wo
01:06:42: sollte er gleich einen Platz finden, wo
01:06:44: Gold und Silber vergraben wäre? Auch
01:06:47: hätte er sich zur Not für Geld sehen
01:06:49: lassen können, aber dazu war er doch zu
01:06:51: stolz.
01:06:54: Endlich fiel ihm die Schnelligkeit
01:06:56: seiner Füße ein. Hm,
01:07:00: vielleicht, so dachte er, können mir
01:07:03: meine
01:07:04: Pantoffelnunterheit
01:07:05: gewähren. Und er beschloss, sich als
01:07:08: Schnelläufer zu
01:07:10: verdingen. Da er aber hoffen durfte,
01:07:12: dass der König dieser Stadt solche
01:07:14: Dienste am besten bezahle, so erfragte
01:07:17: er den Palast.
01:07:19: Unter dem Tor des Palastes stand eine
01:07:21: Wache, die ihn fragte, was er hier zu
01:07:23: suchen habe. Auf seine Antwort, dass er
01:07:26: einen Dienst suche, wies man ihn zum
01:07:29: Aufseher der
01:07:30: Sklaven. Diesen trug er sein Anliegen
01:07:33: vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter
01:07:36: den königlichen Boten zu
01:07:38: besorgen. Der Aufseher maß ihn mit
01:07:41: seinen Augen von Kopf bis zu den Füßen
01:07:43: und sprach: "Wie? Mit deinen Füßlein,
01:07:47: die kaum so lang als eine Spanne sind,
01:07:50: willst du königlicher Schnelläufer
01:07:52: werden? Hebe dich weg. Ich bin nicht
01:07:55: dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu
01:07:58: machen. Der kleine Muck versicherte ihn
01:08:01: aber, dass es ihm vollkommen ernst sei
01:08:03: mit seinem Antrag und dass er es mit dem
01:08:06: schnellsten auf eine Wette ankommen
01:08:08: lassen wollte. Dem Aufseher kam die
01:08:11: Sache gar lächerlich vor. Er befahl ihm,
01:08:14: sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf
01:08:16: bereitzuhalten, führte ihn in die Küche
01:08:19: und sorgte dafür, daß ihm gehörig Speiß
01:08:22: und Trank gereicht wurde. Er selbst aber
01:08:25: begab sich zum König und erzählte ihm
01:08:27: vom kleinen Muck und seinem
01:08:30: Anerbieten. Der König war ein lustiger
01:08:32: Herr, daher gefiel es ihm wohl, dass der
01:08:36: Aufseher der Sklaven den kleinen
01:08:37: Menschen zu einem Spaß behalten habe. Er
01:08:41: befahl ihm, auf einer großen Wiese
01:08:44: hinter dem Schloss Anstalten zu treffen,
01:08:46: dass das Wettlaufen mit Bequemlichkeit
01:08:48: von seinem ganzen Hofstaat könnte
01:08:51: gesehen werden und empfahl ihm nochmals,
01:08:54: große Sorgfalt für den Zwerg zu
01:08:57: haben. Der König erzählte seinen Prinzen
01:09:00: und Prinzessinnen, was sie diesen Abend
01:09:02: für ein Schauspiel haben würden. Diese
01:09:04: erzählten es wieder ihren Dienen. Und
01:09:07: als der Abend herankam, war man in
01:09:09: gespannter Erwartung.
01:09:11: Und alles, was Füße hatte, strömte
01:09:14: hinaus auf die Wiese, wo Gerüste
01:09:16: aufgeschlagen waren, um den großerischen
01:09:20: Zwerg laufen zu
01:09:22: sehen. Als der König und seine Söhne und
01:09:25: Töchter auf dem Gerüst Platz genommen
01:09:27: hatten, trat der kleine Muck heraus auf
01:09:30: die Wiese und machte vor den hohen
01:09:33: Herrschaften eine überausziierliche
01:09:35: Verbeugung.
01:09:37: Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte,
01:09:40: als man den Kleinen ansichtig wurde.
01:09:42: Eine solche Figur hatte man dort noch
01:09:45: nie gesehen. Das Körperlein mit dem
01:09:47: mächtigen Kopf, das Männelein und die
01:09:50: weiten Beinkleider, der lange Dolch in
01:09:53: dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein
01:09:56: in den weiten Pantoffeln. Nein, es war
01:10:00: zu drulig anzusehen, als daß man nicht
01:10:03: hätte laut lachen
01:10:05: sollen. Der kleine Muck ließ sich aber
01:10:07: durch das Gelächter nicht irre machen.
01:10:09: Er stellte sich stolz auf sein Stöcklein
01:10:11: gestützt hin und erwartete seinen
01:10:14: Gegner.
01:10:15: Der Aufseher der Sklaven hatte nach
01:10:18: Mucks eigenem Wunsche den besten Läufer
01:10:21: ausgesucht. Dieser trat nun heraus,
01:10:24: stellte sich neben den Kleinen und beide
01:10:27: harrten auf das
01:10:29: Zeichen. Da winkte die Prinzessin am
01:10:31: Marsa, wie es ausgemacht war, mit ihrem
01:10:34: Schleier und wie zwei Pfeile auf
01:10:36: dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die
01:10:39: beiden Wettläufer über die Wiese hin.
01:10:42: Von Anfang hatte Mucksgegner einen
01:10:44: bedeutenden Vorsprung, aber diese jagte
01:10:46: ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach,
01:10:48: holte ihn ein, überfing ihn und stand
01:10:52: längst am Ziele, als jener noch nach
01:10:54: Luft schnappend
01:10:56: daherlief. Verwunderung und Staunen
01:10:58: fesselte eine Augenblicke die Zuschauer.
01:11:01: Als aber der König zuerst in die Hände
01:11:03: klatschte, da jauchzte die Menge und
01:11:06: alle riefen: "Hoch lebe der kleine Muck,
01:11:10: der Sieger im Bettlauf.
01:11:13: Man hatte in desin kleine Muck
01:11:15: herbeigebracht. Er warf sich vor dem
01:11:16: König nieder und sprach:
01:11:19: "Großmächtigster König, ich habe dir
01:11:21: hier nur eine kleine Probe meiner Kunst
01:11:24: gegeben. Wolle nur gestatten, dass man
01:11:27: mir eine Stelle unter deinen Läufern
01:11:29: gebe." Der König aber antwortete ihm:
01:11:33: "Nein, du sollst mein
01:11:36: Leibläufer und immer um meine Person
01:11:39: sein, lieber Muck.
01:11:42: Jährlich sollst du hundert Goldstücke
01:11:44: erhalten als Lohn und an der Tafel
01:11:48: meiner ersten Diener sollst du
01:11:52: speisen. So glaubte den Muck endlich das
01:11:54: Glück gefunden zu haben, dass er so
01:11:57: lange suchte und war fröhlich und
01:11:59: wohlgemut in seinem Herzen. Auch
01:12:02: erfreute er sich der besonderen Gnade
01:12:04: des Königs, denn dieser gebrauchte ihn
01:12:06: zu seinen schnellsten und geheimsten
01:12:08: Sendungen, die er dann mit der größten
01:12:11: Genauigkeit und mit unbegreiflicher
01:12:13: Schnelle besorgte.
01:12:16: Aber die übrigen Diener des Königs waren
01:12:19: ihm gar nicht zugetan, weil sie sich
01:12:22: ungern durch einen Zwerg, der nichts
01:12:23: verstand als schnell zu laufen, in der
01:12:26: Gunst ihres Herren zurückgesetzt sahen.
01:12:30: Sie veranstalteten daher manche
01:12:31: Verschwörung gegen ihn, um ihn zu
01:12:34: stürzen, aber alle schlugen fehl an dem
01:12:36: großen Zutrauen, dass der König in
01:12:39: seinen geheimen
01:12:40: Oberleibläufer, denn zu dieser Würde
01:12:43: hatte er es in so kurzer Zeit gebracht,
01:12:46: setzte. Muck, dem diese Bewegungen gegen
01:12:49: ihn nicht entgingen, sann nicht auf
01:12:51: Rache. Dazu hatte er ein zu gutes Herz.
01:12:55: Nein, auf Mittel dachte er, sich bei
01:12:58: seinen Feinden notwendig und beliebt zu
01:13:02: machen. Da fiel ihm sein Stäplein, das
01:13:05: er in seinem Glück außer Acht gelassen
01:13:07: hatte, ein. Wenn er Schätze finde,
01:13:09: dachte er, werden ihm die Herren schon
01:13:12: geneigter werden. Er hatte schon oft
01:13:14: gehört, daß der Vater des jetzigen
01:13:16: Königs viele seiner Schätze vergraben
01:13:19: habe, als der Feind sein Land
01:13:21: überfallen. Man sagte auch, er sei
01:13:24: darüber gestorben, ohne dass er sein
01:13:26: Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen
01:13:28: können. Von nun an nahm Muck immer sein
01:13:32: Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal
01:13:35: an einem Ort vorüberzugehen, wo das Gold
01:13:38: des alten Königs vergraben
01:13:41: sei. Eines Abends führte ihn der Zufall
01:13:44: in einen entlegenen Teil des
01:13:46: Schlosskartens, den er wenig besuchte,
01:13:49: und plötzlich fühlte er das Stärplein in
01:13:52: seiner Hand zucken und dreimal schlug es
01:13:55: gegen den Boden. Nun wußte er schon, was
01:13:57: dies zu bedeuten hatte. Er zog daher
01:14:00: seinen Dolch heraus, machte Zeichen in
01:14:03: die umstehenden Bäume und schlich sich
01:14:06: wieder in das Schloss. Dort verschaffte
01:14:08: er sich einen Sparten und wartete die
01:14:11: Nacht zu seinem Unternehmen
01:14:13: ab. Das Schatzgraben selbst machte
01:14:16: übrigens dem kleinen Muck mehr zu
01:14:18: schaffen, als er geglaubt hatte. Seine
01:14:21: Arme waren g schwach, sein Sparten aber
01:14:24: groß und schwer, und er mochte wohl
01:14:26: schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe
01:14:29: er ein Parfuß tief gegraben
01:14:32: hatte. Endlich stieß er auf etwas
01:14:36: Hartes, das wie Eisen klang.
01:14:39: Er grub jetzt emsiger und bald hatte er
01:14:43: einen großen eisernen Deckel zutage
01:14:46: gefördert. Er stieg selbst in die Grube
01:14:49: hinab, um
01:14:50: nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte
01:14:53: bedeckt haben, und fand richtig einen
01:14:56: großen Topf mit Goldstücken
01:15:00: angefüllt, aber seine schwachen Kräfte
01:15:02: reichten nicht hin, den Topf zu heben.
01:15:06: steckte er in seine Beinkleider und
01:15:07: seinen Gürtel, so viel er zu tragen
01:15:09: vermochte, und auch sein Mäntelein
01:15:11: füllte er damit, bedeckte das Übrige
01:15:14: wieder sorgfältig und
01:15:17: locken. Aber wahrlich, wenn er die
01:15:19: Pantoffel nicht an den Füßen gehabt
01:15:21: hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen,
01:15:23: so zog ihn die Last des Goldes nieder.
01:15:27: Doch unbemerkt kam er bis auf sein
01:15:29: Zimmer und verwahrte dort sein Gold
01:15:32: unter den Polstern seines Sofas.
01:15:36: Als der kleine Muck sich im Besitz so
01:15:39: vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt
01:15:42: werde sich jetzt wenden und er werde
01:15:45: sich unter seinen Feinden am Hof viele
01:15:47: Gönner und warme Anhänger
01:15:50: erwerben. Aber schon daran konnte man
01:15:52: erkennen, dass der gute Muck keine gar
01:15:54: sorgfältige Erziehung genossen haben
01:15:56: musste, sonst hätte er sich wohl nicht
01:15:58: einbilden können, durch Gold wahre
01:16:02: Freunde zu
01:16:03: gewinnen. Ach, dass er damals seine
01:16:05: Pantoffeln geschmiert und sich mit
01:16:07: seinem Mäntelein voll Gold aus dem Staub
01:16:09: gemacht
01:16:10: hätte. Das Gold, das der kleine Muck von
01:16:13: jetzt an mit vollen Händen
01:16:15: austeilte, erweckte den Neid der übrigen
01:16:19: Hofbedienten. Küchenmeister Ahuli sagte,
01:16:23: er ist ein
01:16:24: Falschmünzer. Der Sklavufseher Ahmed
01:16:27: sagte, er hat's dem König abgeschwatzt.
01:16:31: Arschas, der Schatzmeister, aber sein
01:16:33: ärgster Feind, der selbst hier und da
01:16:35: einen Griff in des Königs Kasse tun
01:16:37: mochte, sagte geradezu: "Er hat's
01:16:43: gestohlen." Um nun ihrer Sache gewiss zu
01:16:45: sein, verabredeten sie sich, und der
01:16:48: Ober Mundschenk Kurchus stellte sich
01:16:52: eines Tages recht traurig und
01:16:53: niedergeschlagen vor die Augen des
01:16:55: Königs. Er machte seine traurigen
01:16:58: Gebärden so auffallend, dass ihn der
01:17:00: König fragte, was ihm fehle. "Ach",
01:17:04: antwortete er, "ich bin
01:17:07: traurig, dass ich die Gnade meines Herrn
01:17:11: verloren
01:17:12: habe." "Was vorbelst du, Freund
01:17:16: Couros?", entgegnete ihm der
01:17:18: König. "Seit wann hätte ich die Sonne
01:17:22: meiner
01:17:23: Gnade nicht über dich leuchten lassen?
01:17:27: Der Obermundschenk antwortete ihm, dass
01:17:30: er den geheimen Oberleibläufer mit Gold
01:17:33: belade, seinen armen treuen Dienen aber
01:17:36: nichts
01:17:37: gebe. Der König war sehr erstaunt über
01:17:40: diese Nachricht, ließ sich die
01:17:41: Goldausteilungen des kleinen Muck
01:17:43: erzählen und die Verschworen brachten
01:17:46: ihm leicht den Verdacht bei, dass Muck
01:17:48: auf irgendeine Art das Geld aus der
01:17:51: Schatzkammer gestohlen habe.
01:17:54: Sehr lieb war diese Wendung der Sache
01:17:55: dem Schatzmeister, der ohnehin nicht
01:17:57: gerne Rechnung ablegte.
01:18:00: Der König gab daher den Befehl, heimlich
01:18:02: auf alle Schritte des kleinen Muckacht
01:18:04: zu geben, um ihn womöglich auf der Tat
01:18:08: zu
01:18:09: ertappen. Als nun in der Nacht, die auf
01:18:12: diesen Unglückstag folgte, der kleine
01:18:14: Muck, der durch seine Freigebkeit um
01:18:16: seine Kasse sehr erschöpft sah, den
01:18:19: Sparten nahm und in den Schlossgarten
01:18:21: schlich, um dort von seinem geheimen
01:18:23: Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten
01:18:27: ihm von weitem die Wachen, von dem
01:18:29: Küchenmeister Ahli und Archas, dem
01:18:32: Schatzmeister, angeführt und in dem
01:18:34: Augenblick, da das Gold aus dem Topf in
01:18:37: sein Mäntelein legen wollte,
01:18:40: fielen sie über ihn her, banden ihn und
01:18:43: führten ihn sogleich vor den
01:18:46: König. Dieser, denin die Unterbrechung
01:18:49: seines Schlafes mürrisch gemacht hatte,
01:18:51: empfing seinen armen geheimen
01:18:54: Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte
01:18:57: sogleich das Verhör über ihn an. Man
01:19:00: hatte den Topf vollend aus der Erde
01:19:02: gegraben und mit dem Sparten und dem
01:19:05: Mäntelein voll Gold vor die Füße des
01:19:07: Königs gesetzt.
01:19:09: Der Schatzmeister sagte aus, daß er mit
01:19:11: seinen Wachen den Muck überrascht habe,
01:19:14: wie er diesen Topf mit Gold gerade in
01:19:16: die Erde gegraben
01:19:18: habe. Der König befragte hierauf den
01:19:20: Angeklagten, ob es wahr sei und woher er
01:19:23: das Gold, das er vergraben, bekommen
01:19:26: habe. Der kleine Muck im Gefühl seiner
01:19:29: Unschuld sagte aus, dass er diesen Topf
01:19:32: im Garten entdeckt habe, dass er ihn
01:19:35: habe nicht ein, sondern ausgraben
01:19:39: wollen. Alle Anwesenden lachten laut
01:19:41: über diese Entschuldigung. Der König
01:19:44: aber, aufs Höchste erzirend über die
01:19:46: vermeintliche Frechheit des Kleinen,
01:19:48: rief aus: "Wie, du
01:19:51: Elender, du willst deinen König so dumm
01:19:54: und schändlich belügen, nachdem du ihn
01:19:58: bestohlen hast."
01:20:00: Schatzmeister Archas, ich fordere dich
01:20:03: auf zu sagen, ob du diese Summe Goldes
01:20:07: für die nämliche erkennst, die in meinem
01:20:11: Schatze
01:20:13: fehlt. Der Schatzmeister aber
01:20:15: antwortete: Er sei seiner Sache ganz
01:20:18: gewiss. So viel und noch mehr fiele seit
01:20:20: einiger Zeit in dem königlichen Schatz.
01:20:23: und er könnte einen Eid darauf ablegen,
01:20:25: daß dies das Gestohlene sei. Da befahl
01:20:29: der König, den kleinen Muck in enge
01:20:31: Ketten zu legen und in den Turm zu
01:20:34: führen. Dem Schatzmeister aber übergab
01:20:38: er das Gold, um es wieder in den Schatz
01:20:40: zu tragen. Vergnügt über den glücklichen
01:20:42: Ausgang der Sache zog dieser ab und
01:20:46: zählte zu Hause die blinkenden
01:20:48: Goldstücke. Aber das hat dieser
01:20:51: schlechte Mann niemals
01:20:53: angezeigt, dass unten in dem Topf ein
01:20:57: Zettel lag, der
01:20:59: sagte: "Der Feind hat mein Land
01:21:03: überschwemmt, daher verberge ich hier
01:21:06: einen Teil meiner
01:21:08: Schätze. Wer es auch finden mag, den
01:21:11: Treffe der Fluch seines
01:21:14: Königs, wenn er es nicht so gleich
01:21:16: meinem Sohne
01:21:18: ausliefert, König
01:21:21: Sadi. Der kleine Muck stellte in seinem
01:21:24: Kerker traurige Betrachtungen an. Er
01:21:26: wusste, dass auf Diebstahl an
01:21:28: königlichen Sachen der Tod gesetzt war.
01:21:31: Und doch mochte er das Geheimnis mit dem
01:21:32: Stäbchen dem König nicht verraten, weil
01:21:35: er mit Recht fürchtete, dieses und seine
01:21:38: Pantoffeln beraubt zu
01:21:40: werden. Seine Pantoffeln konnten ihm
01:21:42: leider auch keine Hilfe bringen, denn da
01:21:44: er in engen Ketten an die Mauer
01:21:46: geschlossen war, konnte er, so sehr sich
01:21:49: quälte, sich nicht auf dem Absatz
01:21:52: umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage
01:21:54: seinen Tod angekündigt wurde, dachte er
01:21:58: doch, es sei besser, ohne das
01:22:00: Zauberstäbchen zu leben, als mit ihm zu
01:22:04: sterben, ließ den König um geheimes
01:22:06: Gehör bitten und entdeckte ihm das
01:22:09: Geheimnis.
01:22:11: Der König maß von Anfang seinem
01:22:13: Geständnis keinen Glauben bei, aber der
01:22:16: kleine Muck versprach eine Probe, wenn
01:22:19: ihm der König
01:22:21: zugestünde, dass er nicht getötet werden
01:22:23: solle.
01:22:25: Der König gab ihm sein Wort darauf und
01:22:28: ließ von Muck ungesehen einiges Gold in
01:22:30: die Erde graben und befahl diesem mit
01:22:33: seinem Stäbchen zu
01:22:35: suchen. In wenigen Augenblicken hatte er
01:22:37: es gefunden, denn das Stäbchen schlug
01:22:40: deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte
01:22:43: der König, dass ihn sein Schatzmeister
01:22:46: betrogen hatte und sandte ihm, wie es im
01:22:49: Morgenland gebräuchlich ist, eine
01:22:51: seidene Schnur, damit er sich selbst
01:22:55: erdrossle. Zum kleinen Muck aber sprach
01:22:58: er: "Ich habe dir zwar dein Leben
01:23:02: versprochen, aber es scheint mir, als ob
01:23:05: du nicht nur allein dieses Geheimnis mit
01:23:08: dem Stäbchen besitzest.
01:23:11: Darum bleibst du in ewiger
01:23:14: Gefangenschaft, wenn du nicht
01:23:16: gestehst, was für eine Bewandnis es mit
01:23:20: deinem Schnelllaufen
01:23:23: hat. Der kleine Muck, den die einzige
01:23:26: Nacht im Torm alle Lust zu längerer
01:23:28: Gefangenschaft benommen hatte, bekannte,
01:23:30: dass seine ganze Kunst in den Pantoffeln
01:23:33: liege, doch lehrte er den König nicht
01:23:35: das Geheimnis von dem dreimaligen
01:23:38: Umdrehen auf dem Absatz.
01:23:41: Der König schlüpfte selbst in die
01:23:42: Pantoffel, um die Probe zu machen, und
01:23:45: jagte wie unsinnig im Garten umher. Oft
01:23:48: wollte er anhalten, aber er wusste
01:23:50: nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen
01:23:53: brachte. Und der kleine Muck, der diese
01:23:56: kleine Rache sich nicht versagen konnte,
01:23:59: ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig
01:24:03: niederfiel. Als der König wieder zur
01:24:05: Besinnung zurückgekehrt war, war er
01:24:07: schrecklich aufgebracht über den kleinen
01:24:09: Muck.
01:24:10: der ihn so ganz außer Atem hatte laufen
01:24:13: lassen. Ich habe dir mein Wort gegeben,
01:24:17: dir Freiheit und Leben zu schenken. Aber
01:24:20: innerhalb 12 Stunden musst du mein Land
01:24:24: verlassen haben, sonst lasse ich dich
01:24:28: aufknüpfen. Die Pantoffeln und das
01:24:30: Stäbchen aber ließ er in seine
01:24:32: Schatzkammer
01:24:34: legen. So arm als je wanderte der kleine
01:24:37: Muck zum Land hinaus. seine Torheit
01:24:40: verwünschend, die ihm vorgespiegelt
01:24:42: habe, er könne eine bedeutende Rolle am
01:24:45: Hofe
01:24:46: spielen. Das Land, aus dem er gejagt
01:24:48: wurde, war zum Glück nicht groß. Daher
01:24:52: war er schon nach 8 Stunden auf der
01:24:54: Grenze. Obgleich ihm das gehen, da er an
01:24:56: seine lieben Pantoffeln gewöhnt war,
01:24:58: sehr sauer ankam.
01:25:01: Als er über der Grenze war, verließ er
01:25:04: die gewöhnliche Straße, um die dichteste
01:25:07: Einöde der Wälder aufzusuchen und dort
01:25:10: nur sicht zu leben, denn er war allen
01:25:13: Menschen
01:25:15: Kram. In einem dichten Walde traf er auf
01:25:18: einen Platz, der ihm zu dem Entschluss,
01:25:21: den er gefasst hatte, ganz tauglich
01:25:23: schien. Ein klarer Bach von großen
01:25:26: schattigen Feigenbäumen umgeben, ein
01:25:29: weicher Rasen luden ihn ein. Hier warf
01:25:33: er sich nieder mit dem Entschluss, keine
01:25:37: Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern
01:25:40: hier den Tod zu
01:25:42: erwarten. Über traurige
01:25:43: Todesbetrachtungen schlief er ein.
01:25:47: Als er aber wieder aufwachte und der
01:25:49: Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er
01:25:52: doch, daß der Hungertod eine gefährliche
01:25:56: Sache sei und sah sich um, ob er
01:25:58: nirgends etwas zu essen bekommen
01:26:01: könnte. Köstliche reife Feigen hingen an
01:26:04: dem Baume, unter welchem er geschlafen
01:26:06: hatte. Er stieg hinauf, um sich einige
01:26:09: zu pflücken, ließ es sich trefflich
01:26:12: schmecken und ging dann hinunter an den
01:26:15: Bach. um seinen Durst zu
01:26:18: löschen. Aber wie groß war sein
01:26:20: Schrecken, als ihm das Wasser seinen
01:26:24: Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer
01:26:28: dicken langen Nase geschmückt
01:26:30: zeigte. Bestürzt griff er mit den Händen
01:26:33: nach den Ohren und wirklich, sie waren
01:26:36: über eine halbe Elle lang. "Ich verdiene
01:26:40: Esels Ohren", rief er aus.
01:26:43: denn ich habe mein Glück wie ein Esel
01:26:46: mit Füßen
01:26:48: getreten. Er wandelte nun den Bäumen
01:26:51: umher und als er wieder Hunger fühlte,
01:26:54: musste er noch einmal zu den Feigen
01:26:56: seine Zuflucht nehmen, denn sonst fand
01:26:59: er nichts essbares an den
01:27:01: Bäumen. Als sie ihm über der zweiten
01:27:03: Portion Feigen einfiel, obwohl seine
01:27:06: Ohren nicht unter seinem großen
01:27:08: Turbannplatz hätten, damit er doch nicht
01:27:10: gar so lächerlich ausseähe, fühlte er,
01:27:14: dass seine Ohren verschwunden
01:27:16: sein. Er lief gleich an den Bach zurück,
01:27:19: um sich davon zu überzeugen. Und
01:27:21: wirklich, es war so. Seine Ohren hatten
01:27:24: ihre vorige Gestalt, seine lange,
01:27:28: unfirmliche Nase war nicht mehr. Jetzt
01:27:31: merkte er aber, wie dies gekommen war.
01:27:34: Von dem ersten feigen Baum hatte er die
01:27:37: lange Nase und Ohren bekommen. Der
01:27:40: zweite hatte ihn
01:27:42: geheilt. Freudig erkannte er, dass ein
01:27:45: gütiges Geschick ihm noch einmal die
01:27:47: Mittel in die Hand gebe, glücklich zu
01:27:49: sein. Er pflückte, da er von jedem Baum
01:27:52: so viel er tragen konnte und ging in das
01:27:54: Land zurück, dass er vor kurzem
01:27:57: verlassen hatte.
01:27:58: Dort machte er sich in dem ersten
01:28:00: Städtchen durch andere Kleider ganz
01:28:03: unkenntlich und ging dann weiter auf die
01:28:06: Stadt zu, die jener König bewohnte, und
01:28:09: kam auch bald dort an.
01:28:12: Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo
01:28:14: reife Früchte noch ziemlich selten
01:28:16: waren. Der kleine Muck setzte sich daher
01:28:19: unter das Tor des Palastes, denn ihr war
01:28:22: von früherer Zeit her wohl bekannt, dass
01:28:24: ihr solche Seltenheiten von dem
01:28:26: Küchenmeister für die königliche Tafel
01:28:28: eingekauft
01:28:29: worden. Muck hatte noch nicht lange
01:28:31: gesessen, als er den Küchenmeister über
01:28:34: den Hof herüberschritten sah.
01:28:37: ermusterte die Waren der Verkäufer, die
01:28:39: sie am Tor des Palastes eingefunden
01:28:41: hatten. Endlich fiel sein Blick auch auf
01:28:45: Muckskörbchen. "Ah ein seltener Bissen",
01:28:50: sagte er, "direko Majestät gewiss
01:28:54: behagen wird. Was willst du für den
01:28:57: ganzen
01:28:59: Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen
01:29:01: mäßigen Preis und sie waren bald des
01:29:04: Handels einig.
01:29:06: Der Küchenmeister übergab den Korb einen
01:29:08: Sklaven und ging weiter. Der kleine Muck
01:29:11: aber machte sich einstweilen aus dem
01:29:13: Staub, weil er befürchtete, wenn sich
01:29:16: das Unglück an den Köpfen des Hofes
01:29:19: zeige, möchte man ihn als Verkäufer
01:29:21: aufsuchen und
01:29:23: bestrafen. Der König war über Tisch um
01:29:26: sehr heiter gestimmt und sagte seinem
01:29:28: Küchenmeister einmal über das andere
01:29:30: Lobsprüche wegen seiner guten Küche und
01:29:33: der Sorgfalt, mit der immer das Seltste
01:29:35: für ihn aussuche. Der Küchenmeister,
01:29:38: aber, welcher wohl wusste, welchen
01:29:40: Leckerbissen er noch im Hintergrund
01:29:42: habe, schmunzelte gar freundlich und
01:29:45: ließ nur einzelne Worte fallen als es
01:29:49: ist erst noch nicht aller Tage
01:29:52: Abend oder Ende gut, alles gut. sodass
01:29:57: die Prinzessinnen sehr neugierig wurden,
01:30:00: was er wohl noch bringen werde. Als er
01:30:03: aber die schönen einladenden Feigen
01:30:05: aufsetzen ließ, da entfloh ein
01:30:07: allgemeines A dem Munde der Anwesenden.
01:30:11: "Wie reif! Wie
01:30:13: appetitlich!", rief der König.
01:30:17: Küchenmeister, du bist ein ganzer Kerl
01:30:20: und verdienst unsere ganz besondere
01:30:24: Gnade." Also sprechend teilte der König,
01:30:27: der mit solchen Leckerbissen sehr
01:30:29: sparsam zu sein pflegte, mit eigener
01:30:31: Hand die Feigen an seiner Tafel aus.
01:30:34: Jeder Prinz und jede Prinzessin bekamen
01:30:37: zwei, die Hofdamen und die Visiere und
01:30:40: Agas eine. Die Übrigen stellte er vor
01:30:43: sich hin und begann mit großem Behagen
01:30:46: sie zu
01:30:48: verschlingen. "Ach lieber Gott, wie
01:30:51: siehst du so wunderlich aus, Vater?"
01:30:53: rief auf einmal die Prinzessin
01:30:56: Armasa. Alle sahen den König erstaunt
01:30:59: an. Ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf.
01:31:04: Eine lange Nase zog sich über sein Kinn
01:31:07: herunter.
01:31:09: Auch sich selbst betrachteten sie
01:31:10: untereinander mit Staunen und Schrecken.
01:31:13: Alle waren mehr oder minder mit dem
01:31:16: sonderbaren Kopfputz
01:31:18: geschmückt. Man denke sich den Schrecken
01:31:21: des Hofes. Man schickte sogleich nach
01:31:23: allen Ärzten der Stadt. Sie kamen
01:31:26: haufenweise, verordneten Pillen und
01:31:29: Mixturen, aber die Ohren und die Nasen
01:31:32: blieben. Man operierte einen der
01:31:35: Prinzen, aber die Ohren wuchsen nach.
01:31:40: Muck hatte die ganze Geschichte in
01:31:41: seinem Versteck, wohin er sich
01:31:43: zurückgezogen hatte, gehört und
01:31:45: erkannte, dass es jetzt Zeit sei zu
01:31:48: handeln. Er hatte sich schon vorher von
01:31:51: dem aus den feigen gelösten Geld einen
01:31:53: Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten
01:31:56: darstellen konnte. Ein langer Bart aus
01:31:59: Ziegenhaaren vollendete die Täuschung.
01:32:02: Mit einem Säckchen voll Feigen wanderte
01:32:05: er in den Palast des Königs und bot als
01:32:08: fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von
01:32:12: Anfang sehr
01:32:14: ungläubig, als aber der kleine Muckane
01:32:16: Feige einem der Prinzen zu essen gab und
01:32:20: Ohren und Nase dadurch in den alten
01:32:23: Zustand zurückbrachte.
01:32:25: Da wollte alles von dem fremden Arzt
01:32:28: geheilt sein. Aber der König nahm ihn
01:32:31: schweigend bei der Hand und führte ihnen
01:32:34: sein Gemar. Dort schloss er seine Türe
01:32:38: auf, die ihn in die Schatzkammer führte
01:32:41: und winkte Muck ihm zu
01:32:43: folgen. "Hier sind meine Schätze",
01:32:46: sprach der König.
01:32:48: Wähle dir, was es auch sei. Es soll dir
01:32:51: gewährt werden, wenn du mich von diesem
01:32:54: schmachvollen Übel
01:32:56: befreist. Das war süße Musik in des
01:32:59: kleinen Mucks Ohren. Er hatte gleich
01:33:02: beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem
01:33:05: Boden stehen sehen. Gleich daneben lag
01:33:07: auch sein
01:33:08: Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal,
01:33:12: wie wenn er die Schätze des Königs
01:33:13: bewundern wollte. Kaum aber war er an
01:33:17: seine Pantoffeln gekommen, so schlüpfte
01:33:19: er eilend hinein, er griff sein
01:33:22: Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab
01:33:25: und zeigte dem erstaunten König das
01:33:27: wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen
01:33:30: Muck.
01:33:31: Treuloser König, sprach er, der du treue
01:33:35: Dienste mit Undank lohnst, nimm als
01:33:39: wohlverdiente Strafe die Missgestalt,
01:33:43: die du trägst. Die Ohren lasse ich dir
01:33:47: zurück, damit sie dich täglich erinnern
01:33:50: an den kleinen Muck.
01:33:54: Als er so gesprochen hatte, drehte er
01:33:56: sich schnell auf dem Absatz herum,
01:33:59: wünschte sich weit hinweg und ehe noch
01:34:02: der König um Hilfe rufen konnte, war der
01:34:04: kleine Muck
01:34:06: entflohen. Seitdem lebt der Kleine hier
01:34:09: in großem
01:34:10: Wohlstand, aber einsam, denn er
01:34:14: verachtet die
01:34:16: Menschen. Er ist durch Erfahrung ein
01:34:19: weiser Mann
01:34:21: geworden, welcher wennnoch sein Äußeres
01:34:24: etwas Auffallendes haben
01:34:26: mag, deine
01:34:29: Bewunderung mehr als deinen Spott
01:34:31: verdient.
01:34:34: So erzählte mir mein
01:34:36: Vater. Ich bezeugte ihm meine Reue über
01:34:38: mein rohes Betragen gegen den guten
01:34:40: kleinen Mann und mein Vater schenkte mir
01:34:43: die andere Hälfte der Strafe, die er mir
01:34:46: zugedacht
01:34:47: hatte. Ich erzählte meinen Kameraden die
01:34:50: wunderbaren Schicksale des Kleinen, und
01:34:54: wir gewannen ihn so lieb, dass ihn
01:34:57: keiner mehr
01:34:58: schimpfte. Im
01:35:00: Gegenteil, wir errten ihn.
01:35:03: solange er
01:35:05: lebte und haben uns vor ihm immer so
01:35:09: tief als vor Kadi und Mufti
01:35:17: gebückt. Die Geschichte von der
01:35:27: Abgehauen Ich bin in Konstantinopel
01:35:30: geboren. Mein Vater war ein Dolmetscher
01:35:33: am türkischen Hof und triebi einen
01:35:36: ziemlich einträglichen Handel mit
01:35:38: wohlriechenden Essenzen und seiden
01:35:41: Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung,
01:35:44: indem er mich teils selbst
01:35:45: unterrichtete, teils von einem unserer
01:35:48: Brester mir Unterricht geben ließ.
01:35:50: Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden
01:35:53: einmal zu übernehmen. Als ich aber
01:35:55: größere Fähigkeiten zeigte, als er
01:35:57: erwartet hatte, bestimmte er mich auf
01:36:00: das Anraten seiner Freunde zum Arzt.
01:36:02: Weil ein Arzt, wenn er etwas mehr
01:36:05: gelernt hat, als die gewöhnlichen
01:36:07: Marktschreier in Konstantinopel sein
01:36:09: Glück machen kann.
01:36:11: Es kamen viele Franken in unser Haus und
01:36:14: einer davon überredete meinen Vater,
01:36:16: mich in sein Vaterland nach der Stadt
01:36:19: Paris reisen zu lassen, wo man solche
01:36:21: Sachen unentgeltlich und am besten
01:36:23: lernen könne. Er selbst aber wolle mich,
01:36:26: wenn er zurückreise, umsonst
01:36:28: mitnehmen. Mein Vater, der in seiner
01:36:31: Jugend auch gereist war, schlug ein und
01:36:34: der Franke sagte mir, ich könne mich in
01:36:36: drei Monaten
01:36:38: bereihalten. Ich war außer mir vor
01:36:40: Freuden, fremde Länder zu sehen und
01:36:43: konnte den Augenblick nicht erwarten, wo
01:36:45: wir uns einschiffen würden. Der Franke
01:36:48: hatte endlich seine Geschäfte abgemacht
01:36:50: und sich zur Reise bereitet. Am Vorabend
01:36:53: der Reise führte mich mein Vater in sein
01:36:56: Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne
01:36:58: Kleider und Waffen auf dem Tische
01:37:00: liegen. Was meine Blicke aber noch mehr
01:37:03: anzog, war ein großer Haufe Goldes, denn
01:37:07: ich hatte noch nie so viel beieinander
01:37:09: gesehen. Mein Vater umarmte mich dort
01:37:11: und sagte: "Siehe, meinen Sohn, ich habe
01:37:15: dir Kleider zu der Reise besorgt.
01:37:18: Jene Waffen sind dein. Es sind die
01:37:21: nämlichen, die mir dein Großvater
01:37:23: umhingen, als ich in die Fremde
01:37:26: auszog. Ich weiß, du kannst sie führen.
01:37:30: Gebrauche sie aber nie, als wenn du
01:37:33: angegriffen wirst, dann aber schlage
01:37:36: auch tüchtig drauf. Mein Vermögen ist
01:37:39: nicht groß.
01:37:41: Siehe, ich habe es in drei Teile geteilt
01:37:44: und einer davon ist dein. Einer davon
01:37:48: sei mein Unterhalt und
01:37:50: Notpfennig. Der Dritte aber sei mir ein
01:37:53: heiliges, unantastbares Gut. Er diene
01:37:58: dir in der Stunde der Not.
01:38:00: So sprach mein alter Vater und Tränen
01:38:03: hingen ihm im Auge. Vielleicht aus
01:38:06: Ahnung, denn ich habe ihn nie
01:38:09: wiedergesehen. Die Reise ging gut von
01:38:12: Statten. Wir waren bald im Lande der
01:38:14: Franken angelangt und sechs Tagreisen
01:38:16: herach kamen wir in die große Stadt
01:38:19: Paris.
01:38:20: Hier mietete mir mein fränkischer Freund
01:38:22: ein Zimmer und riet mir, mein Geld, das
01:38:25: in allem Zweitausend Taler betrug,
01:38:27: vorsichtig
01:38:29: anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in
01:38:31: dieser Stadt und lernte, was ein
01:38:33: tüchtiger Arzt wissen muss. Ich müsste
01:38:35: aber lügen, wenn ich sagte, dass ich
01:38:37: gerne dort gewesen sei, denn die Sitten
01:38:40: dieses Volkes gefielen mir nicht. Auch
01:38:42: hatte ich nur wenige gute Freunde dort.
01:38:45: Diese aber waren edle junge Männer.
01:38:48: Die Sehnsucht nach der Heimat wurde
01:38:50: endlich mächtig in mir. In der ganzen
01:38:52: Zeit hatte ich nichts von meinem Vater
01:38:54: gehört und ich ergriff daher eine
01:38:56: günstige Gelegenheit nach Hause zu
01:38:58: kommen. Es ging nämlich eine
01:39:00: Gesandschaft aus Frankenland an den
01:39:02: türkischen Hof. Ich verdang mich als
01:39:05: Wundarzt in das Gefolge des Gesandten
01:39:08: und kam glücklich wieder nach Stanul.
01:39:11: Das Haus meines Vaters aber fand ich
01:39:15: verschlossen, und die Nachbarn staunten,
01:39:17: als sie mich sahen, sagten mir: "Mein
01:39:20: Vater sei vor zwei Monaten
01:39:22: gestorben." Jener Priester, der mich in
01:39:25: meiner Jugend unterrichtet hatte,
01:39:27: brachte mir den Schlüssel allein und
01:39:30: verlassen zog ich in das verödete Haus
01:39:32: ein. Ich fand noch alles, wie es mein
01:39:35: Vater verlassen hatte. Nur das Gold, das
01:39:38: er mir zu hinterlassen versprach,
01:39:40: fehlte. Ich fragte den Priester danach
01:39:43: und dieser verneigte sich und sprach:
01:39:46: "Euer Vater ist als ein heiliger Mann
01:39:50: gestorben, denn er hat seinen Gold der
01:39:52: Kirche
01:39:54: vermacht." Dies war und blieb mir
01:39:57: unbegreiflich. Doch was wollte ich
01:39:59: machen? Ich hatte keine Zeugen gegen den
01:40:01: Priester und musste froh sein, dass er
01:40:03: nicht auch das Haus und die Waren meines
01:40:05: Vaters als Vermächtnis angesehen hatte.
01:40:09: Dies war das erste Unglück, das mich
01:40:11: traf. Von jetzt an aber kam es Schlag
01:40:15: auf Schlag.
01:40:16: Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht
01:40:19: ausbreiten, weil ich mich schämte, den
01:40:21: Marktschreier zu machen. Und überall
01:40:23: fehlte mir die Empfehlung meines Vaters,
01:40:26: der mich bei den reichsten und
01:40:27: vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt
01:40:29: nicht mehr an den armen Zaloikos
01:40:32: dachten. Auch die Waren meines Vaters
01:40:34: fanden keinen Abgang, denn die Kunden
01:40:37: hatten sich nach seinem Tode verlaufen,
01:40:39: und neue bekommt man nur langsam.
01:40:42: Als ich einst trostlos über meine Lage
01:40:44: nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in
01:40:47: Franken Männer meines Volkes gesehen
01:40:49: hatte, die das Land durchzogen und ihre
01:40:52: Waren auf den Märkten der Städte
01:40:54: auslegten. Ich erinnerte mich, dass man
01:40:57: ihnen gerne abkaufte, weil sie aus der
01:40:59: Fremde kamen und dass man bei solchem
01:41:02: Handel das Hundertfache erwerben könne.
01:41:04: Sogleich war auch mein Entschluss
01:41:06: gefasst. Ich verkaufte mein väterliches
01:41:09: Haus, gab einen Teil des gelösten
01:41:11: Geldes, einem bewährten Freunde zum
01:41:14: Aufbewahren. Von dem übrigen aber kaufte
01:41:17: ich, was meinen Franken selten hat,
01:41:19: Schals, seidene Zeuge, Salben und Öle,
01:41:23: mietete einen Platz auf einem Schiff und
01:41:26: trat so meine zweite Reise nach Franken
01:41:28: an. Es schien als ob das Glück, sobald
01:41:31: ich die Schlösser der Dardanellen im
01:41:33: Rücken hatte, wie wieder günstig
01:41:34: geworden wäre. Unsere Fahrt war kurz und
01:41:38: glücklich. Ich durchzogen und kleinen
01:41:41: Städte der Franken und fand überall
01:41:43: willige Käufer für meine Waren. Mein
01:41:46: Freund in Istanbul sandte mir immer
01:41:48: wieder frische Vorräte und ich wurde von
01:41:50: Tag zu Tag
01:41:52: wohlhabender. Als ich endlich so viel
01:41:54: erspartte, dass ich glaubte, ein
01:41:56: größeres Unternehmen wagen zu können,
01:41:59: zog ich mit meinen Wagen nach Italien.
01:42:02: Etwas muß ich aber noch gestehen, was
01:42:04: mir auch nicht wenig Geld einbrachte.
01:42:07: Ich nahm auch meine Arzneikunst z.
01:42:09: Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ
01:42:12: ich durch Zettel verkünden, dass ein
01:42:14: griechischer Arzt da sei, der schon
01:42:17: viele geheilt habe. Und wahrlich, mein
01:42:19: Balsam und meine Arzneien haben mir
01:42:22: manche Zerchine eingebracht.
01:42:24: So war ich endlich nach der Stadt
01:42:25: Florenz in Italien gekommen. Ich nahm
01:42:28: mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu
01:42:30: bleiben, teils weil sie mir sowohl
01:42:33: gefiel und teils auch, weil ich mich von
01:42:35: den Strapazen meines Umherziehens
01:42:37: erholen wollte. Ich miete mir ein
01:42:39: Gewölbe in dem Stadtviertel Santa Kroche
01:42:43: und nicht weit davon ein paar schöne
01:42:44: Zimmer, die auf einen Altar führten in
01:42:47: einem Wirus. Sogleich ließ ich auch
01:42:50: meine Zettel umherragen, die mich als
01:42:52: Arzt und Kaufmann
01:42:54: ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewebe
01:42:56: eröffnet, so strömten auch die Käufer
01:42:58: herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe
01:43:00: Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr
01:43:02: als andere, weil ich gefällig und
01:43:05: freundlich gegen meine Kunden war. Ich
01:43:08: hatte schon vier Tage vergnügt in
01:43:09: Florenz verlebt, als sich eines Abends,
01:43:12: da ich schon mein Gewölbe schließen und
01:43:14: nur die Vorräte in meinen Salbenbüchsen
01:43:17: nach meiner Gewohnheit noch einmal
01:43:18: mustern wollte, in einer kleinen Büchse
01:43:21: einen Zettel fand, den ich mich nicht
01:43:23: erinnerte, hineinetan zu haben. Ich
01:43:26: öffnete den Zettel und fand darin eine
01:43:29: Einladung. Diese Nacht punkt zwelfr auf
01:43:32: der Brücke, die mein Ponteveio heißt,
01:43:35: mich
01:43:36: einzufinden. Ich san lange darüber nach,
01:43:40: wer es wohl sein könnte, der mich
01:43:41: dorthin einlut. Da ich aber keine Seele
01:43:43: in Forenz kannte, dachte ich, man werde
01:43:47: mich vielleicht heimlich zu irgendeinem
01:43:49: Kranken führen wollen, was schon öfter
01:43:51: geschehen war. Ich beschloß also
01:43:54: hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht
01:43:56: den Säbel um, den mir einst mein Vater
01:43:59: geschenkt
01:44:01: hatte. Als es stark gegen Mitternacht
01:44:03: ging, machte ich mich auf den Weg und
01:44:06: kam bald auf die
01:44:08: Ponteveio. Ich fand die Brücke verlassen
01:44:11: und öde und beschloss zu warten, bis der
01:44:14: erscheinen würde, der mich
01:44:16: rief. Es war eine kalte Nacht. Der Mond
01:44:20: schien hell und ich schaute hinab in die
01:44:22: Wellen des Arno, die weitem im Mondlicht
01:44:25: schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt
01:44:28: schlug es jetzt 12 Uhr und ich richtete
01:44:30: mich auf. Und vor mir stand ein großer
01:44:35: Mann ganz in einen roten Mantel gehüllt,
01:44:38: dessen einen Zipfel er vor das Gesicht
01:44:41: hielt. Ich war von Anfang an etwas
01:44:44: erschrocken, weil er so plötzlich hinter
01:44:46: mir stand, faßte mich aber sogleich
01:44:49: wieder und
01:44:50: sprach: "Wenn ihr mich habt hierher
01:44:53: bestellt, so sagt an, was steht zu eurem
01:44:57: Befehl?" Der Rotmantel wandte sich um
01:45:00: und sagte
01:45:01: langsam:
01:45:04: "Folge!" Da wart mir es doch etwas
01:45:06: unheimlich zum Mut, mit diesem
01:45:08: Unbekannten allein zu gehen. Ich blieb
01:45:11: stehen und sprach.
01:45:13: Nicht also, lieber Herr, wollt ihr mir
01:45:15: vorerst sagen, wohin auch? Könnet ihr
01:45:18: mir euer Gesicht ein wenig zeigen, dass
01:45:21: ich sehe, ob ihr Gutes mit mir
01:45:23: vorhabt? Der Rote aber schien sich nicht
01:45:26: darum zu
01:45:27: kümmern. Wenn du nicht
01:45:30: willst,
01:45:31: Zaloikos. So, bleibe antwortete er und
01:45:35: ging weiter. Da entbrannte mein
01:45:38: Zorn. Meinet ihr? Rief ich aus. Ein Mann
01:45:42: wie ich lasse sich von jedem Narren
01:45:43: foppen und ich werde in dieser kalten
01:45:45: Nacht umsonst gewartet haben. In drei
01:45:49: Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte
01:45:51: ihn an seinem Mantel und schrie noch
01:45:53: lauter, indem ich die andere Hand an den
01:45:56: Säbel legte. Aber der Mantel blieb mir
01:45:59: in der Hand, und der Unbekannte war um
01:46:02: die nächste Ecke
01:46:04: verschwunden. Mein Zorn legte sich nach
01:46:07: und nach. Ich hatte doch den Mantel und
01:46:10: dieser sollte mir schon den Schlüssel zu
01:46:11: diesem wunderlichen Abenteuer geben. Ich
01:46:14: hing ihn um und ging meinen Weg wieder
01:46:16: nach Hause. Als ich kaum noch hundert
01:46:19: Schritte davon entfernt war, streifte
01:46:21: jemand dicht an mir vorüber und
01:46:23: flüsterte in fränkischer Sprache: "Nehmt
01:46:26: euch in Achtgarb. Heute Nacht ist nichts
01:46:29: zu
01:46:29: machen. Wie ich mich aber umsehen
01:46:32: konnte, war dieser jemand schon vorbei
01:46:35: und ich sah nur noch einen Schatten an
01:46:36: den Häusern hinschweben. Dass dieser
01:46:39: zuruf den Mantel und nicht mich anging,
01:46:41: sah ich ein, doch gab er mir kein Licht
01:46:44: über die
01:46:45: Sache. Am anderen Morgen überlegte ich,
01:46:47: was zu tun sei. Ich war von Anfang an
01:46:50: gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen,
01:46:53: als hätte ich ihn gefunden. Doch da
01:46:55: konnte der Unbekannte ihn durch einen
01:46:57: dritten holen lassen und ich hätte dann
01:46:59: keinen Aufschluss über die Sache gehabt.
01:47:02: Ich besah, indem ich so nachdachte, den
01:47:04: Mantel näher. Er war von schwerem
01:47:07: genuischem Samt,
01:47:09: purpurrot, mit astrachanischem Pelz
01:47:12: verbrämt und reich mit Gold gestickt.
01:47:16: Der prachtvolle Anblick des Mantels
01:47:18: brachte mich auf einen Gedanken, den ich
01:47:20: auszuführen beschloss. Ich trug ihn mein
01:47:23: Gewbe und legte ihn zum Verkauf aus,
01:47:26: setzte aber auf ihn einen so hohen
01:47:29: Preis, dass ich gewiss war, keinen
01:47:31: Käufer zu finden. Mein Zweck dabei war,
01:47:34: jeden, der nach dem Pelz fragen würde,
01:47:37: schärfe ins Auge zu fassen, denn die
01:47:39: Gestalt des Unbekannten, die sich mir
01:47:41: nach Verlust des Mantels, wenn auch nur
01:47:43: flüchtig doch bestimmt zeigte, wollte
01:47:46: ich aus tausenden
01:47:47: erkennen. Es fanden sich viele
01:47:49: Kauflustige zu dem Mantel, dessen
01:47:51: außerordentliche Schönheit alle Augen
01:47:53: auf sich zog. Aber keinerlich entfernt
01:47:56: dem Unbekannten. Keiner wollte den hohen
01:47:59: Preis von zweiundert zerschienen dafür
01:48:02: bezahlen. Auffallend war mir dabei, dass
01:48:05: wenn ich einen oder den anderen fragte,
01:48:07: ob denn sonst kein solcher Mantel in
01:48:09: Florenz sei, alle mit nein antworteten
01:48:12: und versicherten eine so kostbare und
01:48:15: geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu
01:48:18: haben. Es wollte schon Abend werden. Da
01:48:21: kam endlich ein junger Mann, der schon
01:48:23: oft bei mir gewesen war und auch heute
01:48:26: viel auf den Mantel geboten hatte, warf
01:48:29: einen Beutel mit Zerschienen auf den
01:48:30: Tisch und rief: "Bei Gott, Zukos, ich
01:48:35: muss deinen Mantel haben und sollte ich
01:48:37: zum Bettler darüber werden." Zugleich
01:48:40: begann er seine Goldstücke
01:48:42: aufzuzählen. Ich kam in große Not. Ich
01:48:45: hatte den Mantel nur ausgehängt, um
01:48:46: vielleicht die Blicke meines Unbekannten
01:48:48: darauf zu ziehen, und jetzt kam ein
01:48:50: junger Tor, um den ungeheuren Preis zu
01:48:53: zahlen. Doch was blieb mir übrig? Ich
01:48:56: gab nach, denn es tat mir auf der
01:48:58: anderen Seite der Gedanke wohl, für mein
01:49:01: nächtliches Abenteuer so schön
01:49:03: entschädigt zu werden. Der Jüngling hing
01:49:06: sich den Mantel um und ging. Er kehrte
01:49:08: aber auf der Schwelle wieder um, indem
01:49:11: er ein Papier, das am Mantel befestigt
01:49:13: war, losmachte. mir zuwarf und sagte:
01:49:17: "Hier, Zaloos hängt etwas, das wohl
01:49:20: nicht zu dem Mantel gehört."
01:49:22: Gleichgültig nahm ich den Zettel, aber
01:49:24: siehe da, dort stand geschrieben:
01:49:26: "Bringe heute Nacht um die bewuß Stunde
01:49:29: den Mantel auf die
01:49:31: Ponteveu. 400 Zechinen warten
01:49:35: deine." Ich stand wie
01:49:37: niedergedonnert. So hatte ich also mein
01:49:39: Glück selbst verscherzt und meinen Zweck
01:49:42: gänzlich verfehlt. Doch ich besann mich
01:49:44: nicht lange, raffte die 200 Zerchinen
01:49:47: zusammen, sprang dem, der den Mantel
01:49:49: gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt
01:49:52: eure Zerchinen wieder, guter Freund, und
01:49:54: lasst mir den Mantel. Ich kann ihn
01:49:56: unmöglich
01:49:57: hergeben." Dieser hielt die Sache von
01:50:00: Anfang für Spaß. Als er bemerkte, dass
01:50:02: es ernst war, geriet er entzorn über
01:50:04: meine Forderung. Schalt mich einen
01:50:07: Narren. Und so kam es endlich zu
01:50:09: Schlägen. Doch ich war so glücklich, im
01:50:12: Handgemeng ihm den Mantel zu entreißen
01:50:14: und wollte schon mit davon eilen, als
01:50:17: der junge Mann die Polizei zur Hilfe
01:50:19: rief und mich mit sich vor Gericht zog.
01:50:22: Der Richter war sehr erstaunt über die
01:50:24: Anklage und sprach meinem Gegner den
01:50:26: Mantel zu. Ich aber bot dem
01:50:30: Jünglingzig hundert Zerchinen über seine
01:50:33: zweihundert, wenn er mir den Mantel
01:50:35: ließe. Was meine Bitten nicht
01:50:37: vermochten, bewirkte meinen Gold. Er
01:50:41: nahm meine guten Zchinen. Ich aber zog
01:50:44: mit dem Mantel triumphierend ab und
01:50:46: musste mir gefallen lassen, dass man
01:50:48: mich in ganz Florenz für einen
01:50:49: Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der
01:50:52: Leute war mir gleichgültig. Ich wußte es
01:50:55: ja besser als sie, daß ich an dem Handel
01:50:57: noch
01:50:58: gewann. Mit Ungeduld erwartete ich die
01:51:01: Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging
01:51:04: ich den Mantel unter dem Arm auf die
01:51:07: Ponteveciu. Mit dem letzten
01:51:09: Glockenschlag kam die Gestalt aus der
01:51:12: Nacht heraus auf mich zu. Es war
01:51:15: unverkennbar, der Mann von gestern.
01:51:17: "Hast du den
01:51:19: Mantel?", wurde ich gefragt.
01:51:22: Ja, Herr", antwortte ich, "aber er
01:51:25: kostete mich bar hundert Zerchinen."
01:51:28: "Ich weiß es", entgegnete jene. "Schau
01:51:32: auf, hier sind 400." Er trat mit mir in
01:51:36: das breite Geländer der Brücke und
01:51:39: zählte die Goldstücke hin. 400 waren es.
01:51:43: Prächtig blitzten sie im Mondschein. Ihr
01:51:46: Glanz erfreute mein Herz.
01:51:49: Ach, es ahnte nicht, daß es seine letzte
01:51:53: Freude sein
01:51:54: werde. Ich steckte mein Geld in die
01:51:57: Tasche und wollte mir nun auch den
01:51:58: gütigen Unbekannten Recht betrachten,
01:52:01: aber er hatte eine Larwe Gesicht, aus
01:52:04: der mich dunkle Augen furchtbar
01:52:06: anblitzten. "Ich danke euch, Herr, für
01:52:10: eure Güte", sprach ich zu ihm. "Was
01:52:13: verlangt ihr jetzt von mir? Das sage ich
01:52:16: euch aber vorher." daß es nichts
01:52:18: Unrechtes sein darf. Unnötige
01:52:22: Sorge, antwortete er, indem er den
01:52:25: Mantel um die Schultern legte. Ich
01:52:28: bedarf eure Hilfe als
01:52:31: Arzt, doch nicht für einen
01:52:34: lebenden, sondern für einen
01:52:37: Toten. "Wie kann das sein?", rief ich
01:52:40: voll Verwunderung. Ich kam mit meiner
01:52:43: Schwester aus fernen Landen", erzählte
01:52:46: er und winkte mir zugleich ihm zu
01:52:49: folgen. Ich wohnte hier mit ihr bei
01:52:51: einem Freund meines
01:52:53: Hauses. Meine
01:52:55: Schwester starb gestern schnell an einer
01:52:59: Krankheit und die Verwandten wollen sie
01:53:02: morgen begraben.
01:53:05: Meiner alten Sitte, unsere Familie aber
01:53:09: sollen alle in der Gruft der Väter
01:53:11: ruhen. Viele, die in fremdem Lande
01:53:15: sterben, ruhen dennoch dort
01:53:19: einbalsamiert. Meinen Verwandten könne
01:53:22: ich nun ihren Körper. Meinem Vater aber
01:53:25: muss ich wenigstens den Kopf seiner
01:53:27: Tochter bringen, damit er sie noch
01:53:30: einmal sehe.
01:53:32: Diese Sitte, die Köpfe geliebte
01:53:35: Anverwandten
01:53:36: abzuschneiden, kam mir zwar etwas
01:53:38: schrecklich vor, doch wagte ich nichts
01:53:40: dagegen einzuwenden, aus Furcht den
01:53:43: Unbekannten zu
01:53:45: beleidigen. Ich sagte ihm daher, dass
01:53:48: ich mit dem Einbalsamieren der Toten
01:53:50: wohl umgehen könne und bat ihn, mich zu
01:53:52: der Verstorbenen zu führen. Doch konnte
01:53:55: ich mich nicht enthalten zu fragen,
01:53:58: warum dies denn alles so geheimnisvoll
01:54:01: und in der Nacht geschehen müsse. Er
01:54:03: antwortete mir, dass seine Verwandten,
01:54:05: die seine Absicht für grausam halten,
01:54:08: bei Tage ihn abhalten würden. Sei aber
01:54:11: nur erst einmal der Kopf abgenommen. So
01:54:13: könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er
01:54:16: hätte mir zwar den Kopf bringen können,
01:54:19: aber ein natürliches Gefühl halte ihn
01:54:21: ab, ihn selbst
01:54:23: abzunehmen. Wir waren in Desbis in ein
01:54:25: großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein
01:54:28: Begleiter zeigte es mir als das Ziel
01:54:30: unseres nächtlichen
01:54:32: Spaziergangs. Wir gingen an dem Haupttor
01:54:35: des Hauses vorbei, traten in eine kleine
01:54:37: Pforte, die der Unbekannte sorgfältig
01:54:40: hinter sich zumachte und stiegen nun im
01:54:43: Finstern eine enge Wendeltreppe hin. Sie
01:54:47: führte in einen spärlich erleuchteten
01:54:48: Gang, aus welchem wir in ein Zimmer
01:54:51: gelangten, dass eine Lampe, die an der
01:54:53: Decke befestigt war,
01:54:56: erleuchtete. In diesem Gemar stand ein
01:54:59: Bett, in welchem der Leichnah lag.
01:55:03: Der Unbekannte wandte sein Gesicht ab
01:55:05: und schien Tränen verbergen zu wollen.
01:55:08: Er deutete nach dem Bett, befahl mir
01:55:12: mein Geschäft gut und schnell zu
01:55:14: verrichten und ging wieder zur Türe
01:55:17: hinaus. Ich packte meine Messer, die ich
01:55:20: als Arzt immer bei mir führte aus und
01:55:22: näherte mich dem Bett.
01:55:24: Nur der Kopf war von der Leiche
01:55:26: sichtbar, aber dieser war so schön, daß
01:55:30: mich unwillkürlich das innigste
01:55:32: Mitleiden ergriff. In langen Flechten
01:55:35: hing das dunkle Haar herab. Das Gesicht
01:55:37: war bleich, die Augen
01:55:39: geschlossen. Ich machte zuerst einen
01:55:41: Einschnitt in die Haut nach der Weise
01:55:43: der Ärzte, wenn sie ein Glied
01:55:45: abschneiden. So, dann nahm ich mein
01:55:47: schärfstes Messer und schnitt mit einem
01:55:50: Zug die Kehle
01:55:51: durch. Aber welche erschrecken!
01:55:54: Die Tote schlug die Augen auf, schloß
01:55:57: sie aber gleich wieder und in einem
01:55:59: tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr
01:56:02: Leben auszuhauchen. Zugleich schoss mir
01:56:05: ein strahl heißen Blut das aus der Wunde
01:56:07: entgegen. Ich überzeugte mich, dass ich
01:56:10: erst die Arme getötet hatte. Denn dass
01:56:13: sie tot sei, war kein Zweifel, da es von
01:56:16: dieser Wunde keine Rettung gab. Ich
01:56:19: stand einige Minuten in banger
01:56:21: Beklommenheit über das, was geschehen
01:56:23: war. Hatte der Rotmantel mich betrogen
01:56:26: oder war die Schwester vielleicht nur
01:56:28: scheintot gewesen?
01:56:30: Das letztere schien mir
01:56:32: wahrscheinlicher, aber ich durfte dem
01:56:34: Bruder der Verstorbenen nicht sagen,
01:56:36: dass vielleicht ein weniger rascher
01:56:38: Schritt sie erweckt hätte, ohne sie zu
01:56:40: töten. Darum wollte ich den Kopf vollens
01:56:44: ablösen. Aber noch einmal stöhnte die
01:56:46: Sterbende, streckt sich in schmerzhafter
01:56:49: Bewegung aus und
01:56:51: starb. Da übermannte mich der Schrecken
01:56:54: und ich stürzte schaudernd aus dem
01:56:56: Gemach.
01:56:57: Aber draußen im Gang war es finster,
01:57:00: denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur
01:57:02: von meinem Begleiter war zu entdecken
01:57:05: und ich musste aufs ungefähr mich im
01:57:07: Finstern an der Wand fortbewegen, um an
01:57:10: die Wendeltreppe zu gelangen. Ich fand
01:57:13: sie endlich und kam halb fallend, halb
01:57:16: gleitend hinab. Auch unten war kein
01:57:18: Mensch.
01:57:20: Die Tür fand ich nur angelehnt und ich
01:57:23: atmete freier, als ich auf der Straße
01:57:25: war, denn in dem Hause war mir ganz
01:57:28: unheimlich geworden. Von Schrecken
01:57:30: gespor rannte ich in meine Wohnung und
01:57:33: begrub mich in die Polster meines
01:57:35: Lagers, um das Schreckliche zu
01:57:37: vergessen, dass ich getan hatte.
01:57:40: Aber der Schlaf floh mich und erstm
01:57:43: ermahnte mich wieder, mich zu
01:57:45: fassen. Es war mir wahrscheinlich, dass
01:57:48: der Mann, der mich zu dieser verruchten
01:57:50: Tat, wie sie mir jetzt erschienen,
01:57:51: geführt hatte, mich nicht angeben würde.
01:57:55: Ich entschloss mich, gleich in mein
01:57:57: Gewölbe an mein Geschäft zu gehen und
01:57:59: womöglich eine sorglose Miene
01:58:02: anzunehmen. Aber ach, ein neuer Umstand,
01:58:06: den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte
01:58:08: noch meinen Kummer. Meine Mütze und mein
01:58:12: Gürtel, wie auch meine Messer fehlten
01:58:14: mir, und ich war ungewiss, ob ich sie in
01:58:17: dem Zimmer der Getöteten gelassen oder
01:58:19: erst auf meiner Flucht verloren hatte.
01:58:22: Leider schien das erste wahrscheinlicher
01:58:24: und man konnte mich also als Mörder
01:58:28: entdecken. Ich öffnete zur gewöhnlichen
01:58:30: Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu
01:58:32: mir her, wie er alle morgen zu tun
01:58:35: pflegte, denn er war ein gesprächiger
01:58:37: Mann. "Ei, was sagt ihr zu der
01:58:40: schrecklichen Geschichte?", rub er an,
01:58:42: die heute Nacht vorgefallen ist. Ich
01:58:45: tat, als ob ich von nichts wüßte. Wie
01:58:47: solltet ihr nicht wissen, von was die
01:58:49: ganze Stadt erfüllt ist? Nicht wissen,
01:58:52: daß die schönste Blume von Florenz,
01:58:55: Bianca, die Tochter des Gouverneurs, in
01:58:57: dieser Nacht ermordet wurde. Ach, ich
01:59:01: sah sie gestern noch heite durch die
01:59:02: Straßen fahren mit ihrem Bräutigam, denn
01:59:05: heute hätten sie Hochzeit
01:59:07: gehabt. Jedes Wort des Nachbars war mir
01:59:11: ein Stich ins Herz.
01:59:13: Und wie oft kehrte meine Martha wieder?
01:59:16: Denn jeder meiner Kunden erzählte mir
01:59:18: die Geschichte, immer einer
01:59:20: schrecklicher als der andere. Und doch
01:59:23: konnte keiner so schreckliches sagen,
01:59:26: als ich selbst gesehen
01:59:28: hatte. Um Mittag ungefähr trat ein Mann
01:59:31: vom Gesicht in mein Gewölbe und bat mich
01:59:33: die Leute zu
01:59:34: entfernen. "Senore
01:59:37: Zaloikos", sprach er, indem er die
01:59:39: Sachen, die ich vermisst, hervorzog.
01:59:41: gehören diese Sachen euch zu. Ich besann
01:59:44: mich, ob ich sie nicht gänzlich
01:59:46: ableugnen sollte, aber als ich durch die
01:59:48: halbgeöffnete Türe meinen Wirt und Meere
01:59:51: Bekannte, die wohl gegen mich zeugen
01:59:53: konnten, erblickte, beschloss ich, die
01:59:55: Sache nicht noch durch eine Lüge zu
01:59:57: verschlimmern und bekannte mich zu den
01:59:59: vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann
02:00:02: bat mich, ihm zu folgen und führte mich
02:00:05: in ein großes Gebäude, dass ich bald für
02:00:07: das Gefängnis erkannte.
02:00:10: Dort wies mir bis auf weiteres ein
02:00:12: Gemach
02:00:13: an. Meine Lage war schrecklich, als ich
02:00:16: so in der Einsamkeit darüber
02:00:17: nachdachte. Der Gedanke gemordet zu
02:00:19: haben, wenn auch ohne Willen, kehrte
02:00:22: immer wieder und wieder. Auch konnte ich
02:00:25: mir nicht verhehlen, daß der Glanz des
02:00:27: Goldes meine Sinne befangen gehalten
02:00:29: hatte, sonst hätte ich nicht so blinds
02:00:32: in die Falle gehen können. Zwei Stunden
02:00:35: nach meiner Verhaftung wurde ich aus
02:00:37: meinem Gemach geführt. Mehrere Treppen
02:00:40: ging es hinab. Dann kam man in einen
02:00:42: großen Saal. Um einen langen schwarz
02:00:45: behängten Tisch saßen dort zwölf Männer,
02:00:48: meistens Kreise. An den Seiten des
02:00:51: Saales zogen sich Bänke herab.
02:00:54: angefüllt mit den vornehmsten von
02:00:56: Florenz. Auf den Galerien, die in der
02:00:59: Höhe angebracht waren, standen dicht
02:01:01: gedrängt die Zuschauer. Als ich bis vor
02:01:04: den schwarzen Tisch getreten war, erhob
02:01:07: sich ein Mann mit finsterer, trauriger
02:01:09: Miene. Es war der
02:01:11: Gouverneur. Er sprach zu den
02:01:14: Versammelten, dass er als Vater in
02:01:16: dieser Sache nicht richten könne und
02:01:18: dass er seine Stelle für diesmal an den
02:01:21: Ältesten der Senatorin
02:01:23: abtrete. Der älteste der Senatoren war
02:01:25: ein Kreis von wenigstens 90 Jahren. Er
02:01:29: stand gebückt und seine Schläfe waren
02:01:31: mit dünnen weißem Haar umhängt. Aber
02:01:34: feurig brannten noch seine Augen und
02:01:36: seine Stimme war stark und sicher. Er
02:01:39: hob an mich zu fragen, ob ich den Mord
02:01:41: gestehe. Ich bat ihn um Gehör und
02:01:45: erzählte unerschrocken und mit
02:01:47: vernehmlicher Stimme, was ich getan
02:01:49: hatte und was ich
02:01:50: wusste. Ich bemerkte, dass der
02:01:53: Gouverneur, während meine Erzählung bald
02:01:55: blass bald rot wurde. Und als ich
02:01:58: geschlossen, fuhr er wütend auf. "Wie
02:02:02: elender!", rief er mir zu. "So willst du
02:02:05: ein Verbrechen, das du aus Habgier
02:02:07: begangen noch einem anderen aufbürden?"
02:02:11: Der Senator verwies ihm seine
02:02:13: Unterbrechung, da er sich freiwillig
02:02:15: seines Rechtes begeben habe. Auch sei es
02:02:17: gar nicht zu erwiesen, dass sich aus
02:02:19: habg gefrewelt, denn nach seiner eigenen
02:02:22: Aussage sei er der getöteten nichts
02:02:24: gestohlen worden. Ja, er ging noch
02:02:27: weiter. Er erklärte dem Gouverneur, dass
02:02:30: er über das frühere Leben seiner Tochter
02:02:32: Rechenschaft geben müsse, denn nur so
02:02:35: könne stießen, ob ich die Wahrheit
02:02:37: gesagt habe oder nicht.
02:02:39: Zugleich hob er für heute das Gericht
02:02:41: auf, um sich, wie er sagte, aus den
02:02:44: Papieren der Verstorbenen, die ihm der
02:02:46: Gouverneur übergeben werde,
02:02:48: ratzuholen. Ich wurde wieder in mein
02:02:50: Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen
02:02:52: traurigen Tag verlebte, immer mit dem
02:02:55: heißen Wunsch beschäftigt, dass man doch
02:02:57: irgendeine Verbindung zwischen der Toten
02:03:00: und dem Rotmantel entdecken möchte. Voll
02:03:04: Hoffnung trat ich den anderen Tag in den
02:03:06: Gerichtssaal.
02:03:07: Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch.
02:03:10: Der alte Senator fragte mich, ob sie
02:03:12: meine Handschrift seien. Ich sah sie an
02:03:15: und fand, daß sie von derselben Hand
02:03:17: sein müssten wie jene beiden Zettel, die
02:03:19: ich erhalten habe. Ich äußerte dies den
02:03:23: Senatoren, aber man schien nicht darauf
02:03:25: zu achten und antwortete, dass ich
02:03:28: beides geschrieben haben könne und
02:03:30: müsse, denn der Namenszug unter den
02:03:32: Briefen seie unverkennbar ein Z. der
02:03:36: Anfangsbuchstabe meines Namens. Die
02:03:39: Briefe aber enthielten Drohungen an die
02:03:41: Verstorbene und Warnungen vor der
02:03:43: Hochzeit, die sie zu vollziehenden
02:03:45: Begriffe war.
02:03:47: Der Gouverneur schien sonderbare
02:03:49: Aufschlüsse in Hinsicht auf meine Person
02:03:51: gegeben zu haben, denn man behandelte
02:03:53: mich an diesem Tage mißstrauischer und
02:03:55: strenger. Ich berief mich zu meiner
02:03:57: Rechtfertigung auf meine Papiere, die
02:04:00: sich in meinem Zimmer finden müssen.
02:04:02: Aber man sagte mir, man habe nachgesucht
02:04:04: und nichts gefunden. So schwand mir am
02:04:07: Schlussse dieses Gerichts alle Hoffnung.
02:04:09: Und als ich am dritten Tag wieder in den
02:04:11: Saal geführt wurde, las man mir das
02:04:14: Urteil vor, daß ich eines vorsätzlichen
02:04:17: Mordes über Wesen zum Tode verurteilt
02:04:21: sei. Dahin also war es mit mir gekommen.
02:04:25: Verlassen von allem, was mir auf Erden
02:04:27: noch teuer war, fern von meiner Heimat,
02:04:30: sollte ich unschuldig in der Blüte
02:04:32: meiner Jahre vom Beile
02:04:34: sterben. Ich saß am Abend dieses
02:04:36: schrecklichen Tages, der über mein
02:04:38: Schicksal entschieden hatte, in meinem
02:04:40: einsamen Kerker. Meine Hoffnungen waren
02:04:43: dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den
02:04:45: Tod
02:04:46: gerichtet. Da tat sich die Türe meines
02:04:48: Gefängnisses auf und ein Mann tratin,
02:04:52: der mich lange schweigend
02:04:54: betrachtete. "So finde ich dich wieder,
02:04:56: Zalukos", sagte er. Ich hatte ihn bei
02:05:00: dem matten Schein meiner Lampe nicht
02:05:01: erkannt, aber der Klang seiner Stimme
02:05:04: erweckte alte Erinnerungen in mir. Es
02:05:07: war Valetti, einer jener wenigen
02:05:09: Freunde, die ich in der Stadt Paris
02:05:11: während meiner Studien kannte. Er sagte,
02:05:15: daß er zufällig nach Florenz gekommen
02:05:17: sei, wo sein Vater als angesehener Mann
02:05:19: wohne. Er habe von meiner Geschichte
02:05:21: gehört und sei gekommen, um mich noch
02:05:24: einmal zu sehen und von mir selbst zu
02:05:26: erfahren, wie ich mich so schwer hätte
02:05:28: verschulden können. Ich erzählte ihm die
02:05:31: ganze Geschichte. Erschien darüber sehr
02:05:34: verwundert und beschwor mich ihm, meinem
02:05:37: einzigen Freunde, alles zu sagen und
02:05:40: nicht mit einer Lüge von innen zu gehen.
02:05:43: Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid,
02:05:46: das ich wahrgesprochen und dass keine
02:05:49: andere Schuld mich drücke, als dass ich
02:05:51: von dem Glanze des Goldes geblendet das
02:05:54: Unwahrscheinliche der Erzählung des
02:05:56: Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast
02:05:58: du die Bianca nicht gekannt?", fragte
02:06:01: jener. Ich bete ihm, sie nie gesehen zu
02:06:04: haben. Valetti erzählte mir nun, daß ein
02:06:07: tiefes Geheimnis auf der Tat liege, dass
02:06:09: der Gouverneur meine Verurteilung sehr
02:06:12: hastig betrieben habe und es sei nur ein
02:06:15: Gerücht unter die Leute gekommen, dass
02:06:17: ich Bianca schon längst gekannt und aus
02:06:20: Rache über ihre Heirat mit einem andern
02:06:23: sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm,
02:06:26: dass dies alles ganz auf den Rotmantel
02:06:28: passe, dass ich aber seine Teilnahme an
02:06:31: der Tat mit nichts beweisen könne.
02:06:33: Walletti umarmte mich weinend und
02:06:36: versprach mir alles zu tun, um
02:06:38: wenigstens mein Leben zu retten. Ich
02:06:41: hatte wenig Hoffnung, doch wusste ich,
02:06:43: dass Valetti ein weiser und der Gesetze
02:06:45: kundiger Mann seie und dass er alles tun
02:06:47: werde, mich zu
02:06:49: retten. Zwei lange Tage war ich in
02:06:51: Ungewissheit. Endlich erschien auch
02:06:53: Valetti. Ich bringe Trost, wenn auch
02:06:57: einen
02:06:58: schmerzlichen. Du wirst leben und frei
02:07:00: sein, aber mit Verlust einer Hand.
02:07:04: Gerührt dankte ich meinem Freund mein
02:07:06: Leben. Er sagte mir, dass der Gouverneur
02:07:09: unerbittlich gewesen sei, die Sache noch
02:07:12: einmal untersuchen zu lassen. Dass er
02:07:14: aber endlich, um nicht ungerecht zu
02:07:15: erscheinen, beigt habe, wenn man in den
02:07:18: Büchern der Florentinischen Geschichte
02:07:20: einen ähnlichen Fall finde, so solle
02:07:23: meine Strafe sich nach der Strafe, die
02:07:25: dort ausgesprochen sei, richten. Er und
02:07:28: sein Vater haben nun Tag und Nacht in
02:07:30: den alten Büchern gelesen und endlich
02:07:33: einen ganz deminigen ähnlichen Fall
02:07:35: gefunden. Dort lautet die
02:07:38: Strafe: Es soll ihm die linke Hand
02:07:40: abgehauen, seine Güte eingezogen und er
02:07:44: selbst auf ewig verbannt werden. So
02:07:47: laute jetzt auch meine Strafe und ich
02:07:50: solle mich jetzt bereiten zu der
02:07:51: schmerzhaften Stunde, die meiner warte.
02:07:53: Ich will euch nicht diese schreckliche
02:07:55: Stunde vors Auge führen, wo ich auf
02:07:57: offenemte meine Hand auf den Block
02:07:59: legte, wo mein eigenes Blut in weiten
02:08:02: Bogen mich
02:08:04: überströmte. Valetti nahm mich in sein
02:08:06: Haus auf, bis ich genesen war. Dann
02:08:09: versah mich edelmütig mit Reisegeld,
02:08:11: denn alles, was ich mir so mühsam
02:08:14: erworben, war eine Beute des Gerichts
02:08:16: geworden. Ich reiste von Florenz nach
02:08:19: Sizilien und von da mit dem ersten
02:08:21: Schiff, das ich fand, nach
02:08:23: Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf
02:08:25: die Summe gerichtet, die ich meinem
02:08:27: Freund übergeben hatte. Auch bat ich
02:08:30: ihn, bei ihm wohnen zu dürfen. Aber wie
02:08:33: erstauntte ich, als dieser mich fragte,
02:08:35: warum ich denn nicht mein Haus beziehe?
02:08:38: Er sagte mir, daß ein fremder Mann unter
02:08:41: meinem Namen ein Haus in dem Quartier
02:08:44: der Griechen gekauft habe. Dselbe habe
02:08:47: auch den Nachbarn gesagt, dass ich bald
02:08:49: selbst kommen werde. Ich ging sogleich
02:08:52: mit meinem Freunde dahin und wurde von
02:08:54: allen meinen alten Bekannten freudig
02:08:57: empfangen. Ein alzer Kaufmann gab mir
02:08:59: einen Brief, den der Mann, der für mich
02:09:02: gekauft hatte, hier gelassen habe. Ich
02:09:04: lasß ihn Zalukos.
02:09:08: Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu
02:09:11: schaffen, daß du nicht fühlest der
02:09:14: einen. Das Haus, das du siehst und
02:09:17: alles, was darin ist, ist dein. Und alle
02:09:21: Jahre wird man dir so viel reichen, dass
02:09:24: du zu den Reichen deines Volkes gehören
02:09:26: wirst. Mögest du dem vergeben, der
02:09:29: unglücklicher ist als du. Ich konnte
02:09:33: ahnen, wer geschrieben, und der Kaufmann
02:09:36: sagte mir auf meine Frage, es sei ein
02:09:39: Mann gewesen, den er für einen Franken
02:09:42: gehalten. Er habe einen roten Mantel
02:09:45: angehabt. Ich wusste genug, um mir zu
02:09:48: gestehen, dass der Unbekannte doch nicht
02:09:50: ganz von aller edler Gesinnung entblößt
02:09:53: sein müsse. In meinem neuen Haus fand
02:09:57: ich alles aufs Beste eingerichtet, auch
02:09:59: ein Gewölbe mit Waren. Schöner als ich
02:10:03: sie je
02:10:04: gehabt. 10 Jahre sind seitdem
02:10:06: verstrichen. Mehr aus alter Gewohnheit,
02:10:09: als weil ich es nötig hätte, setzte ich
02:10:12: meine Handelsreisen fort. Doch habe ich
02:10:15: jenes Land, wo ich so unglücklich wurde,
02:10:18: nie mehr
02:10:19: gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem
02:10:22: 1000 Goldstücke. Aber wenn es mir auch
02:10:25: Freude macht, jenen unglücklichen Edel
02:10:28: zu wissen, so kann er mir doch den
02:10:30: Kummer meiner Seele nicht
02:10:33: abkaufen. Denn ewig lebt in mir das
02:10:36: grauenhafte Bild der ermordeten Bianca.
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